Ich, Heinrich VIII.
ach, der unserer Aufmerksamkeit bedarf.«
Wir zügelten die Pferde und machten uns bereit, die Falken aufsteigen zu lassen. Vor uns war ein Schwarm Krähen. Wir nahmen unseren Vögeln die Hauben ab und ließen sie von unseren Fäusten aufflattern, den unglückseligen Krähen nach.
»Habt Ihr das Beweismaterial beschafft?«, fragte ich rasch. Ich war gezwungen gewesen, ihm die Wahrheit über Anne – die Schwarze Nan! – zu offenbaren, damit er wusste, gegen was für eine Macht er anzutreten hatte.
»Für ihre Hexerei? Nein, Eure Majestät.«
Die schlanken, dunklen Gestalten der Falken, die pfeilschnell über uns in den Himmel hinaufstiegen, waren atemberaubend.
»Aber sie ist eine Hexe! Wieso findet Ihr dafür keinen Beweis? Danach – muss sie hingerichtet werden.«
»Ich dachte, ich könnte etwas finden. Ich nahm an, es werde da gewisse Tränke geben, Pulver, Bücher. Aber alles, was ich fand, war … Ehebruch.« Er sah mich Vergebung heischend an. »Ihre Kammerfrau, Lady Wingfield, hat mir eine merkwürdige Geschichte erzählt … von Männern, die sich im Schlafgemach der Königin in Schränken verbargen und auf ein verabredetes Wort warteten, um hervorzutreten und in ihr Bett zu kommen. Es ist höchst … bizarr.« Er reichte mir ein Stück Pergament, lang, fleckig und mit zahlreichen tintegeschriebenen Eintragungen. »Oh, schaut!«
Die Falken hatten die Krähen überholt und waren jetzt über ihnen, um sich ihre Opfer auszusuchen. Gleich würden sie senkrecht herabschießen, die Schwingen dicht an den Leib gedrückt, wie glatte, dunkle Steine des Todes.
»Ja, ja.« Ich hatte schon öfter gesehen, wie Falken töteten.
Ich warf einen Blick auf das Papier in meiner Hand, und ich merkte, wie mich die Schwäche übermannte und wie meine Hände zu zittern begannen. Ich wollte dies nicht sehen, und zugleich war ich doch gezwungen, es zu lesen.
Es hieß da, der Musiker Mark Smeaton »und andere« hätten sich regelmäßig in Annes Bett vergnügt.
Ein mächtiger Schlag am Himmel hallte bis an unsere Ohren: Die Falken hatten die Krähen gepackt, senkrecht auf sie herniederfahrend. Die Krähen waren tot, stürzten zur Erde. Die Falken stießen von neuem auf sie herunter und fingen sie im Fallen. Ein träger Wirbel von schwarzen Federn folgte ihnen wie eine Trauerprozession.
Mein Blick richtete sich notgedrungen wieder auf das Papier. Es ging weiter, in allen Einzelheiten, erbarmungslos.
Diese Liste würde bei Hofe verlesen werden, zu ihrer Schande.
Sie war noch verderbter, als ich gedacht hatte. Schon die Berührung dieser schmierigen Aufstellung besudelte meine Hände. »Die Großhure«, murmelte ich.
Ich blickte auf. Cromwell hatte mich die ganze Zeit beobachtet; seine schwarzen Knopfaugen ließen mich nicht los.
»Ich danke Euch«, sagte ich schließlich. »Es wird Zeit, dass ich die volle Wahrheit erfahre.«
Cromwell nickte. »Es scheint, die Wahrheit ist stets mit Schmerz verbunden. ›Die schmerzhafte Wahrheit‹, sagt man immer. Niemals ›die freudige Wahrheit‹. Es tut mir Leid, Eure Majestät«, fügte er eilig hinzu.
»Gott schickt uns Pein, um uns zu bessern«, sagte ich mechanisch. So hatte ich es gelernt. Glaubte ich es wirklich?
»Es schmerzt nichtsdestominder. Vermeiden kann man es nur, indem man aufhört, sein Herz an irgendetwas zu hängen.«
War es das, was Cromwell nach dem Tode seiner Frau getan hatte?
»Es wäre erholsam, sein Herz von allem zu befreien«, pflichtete ich ihm bei. Es wäre ein Frieden, eine Freiheit, die ich mir nicht vorstellen konnte. Mein Leben lang hatte mir alles am Herzen gelegen – alles.
»Wollen wir?« Er deutete auf das Feld, wo die gefallenen Krähen lagen. »Wenn wir sie nicht fortnehmen, werden die Falken sich satt fressen, und dann ist die Jagd für heute zu Ende.«
Mir war, als sei ich außerhalb meiner selbst, und schaute geradeaus, als ich zu den toten Vögeln schritt. Ich setzte einen Fuß vor den anderen und ließ ein Federspiel kreisen, um die Falken wegzulocken, auf dass wir die armen, zerschmetterten Krähen in unsere Beutel stopfen konnten. Die ganze Zeit über war ein anderer Heinrich bei mir, einer, dessen Frau soeben unwiderruflich als Ehebrecherin, als Hure entlarvt worden war.
Weshalb konnte ich nichts fühlen? Weshalb diese merkwürdige Unberührtheit, diese Nervosität, und dazu dieser unverrückbare Schatten, das Schlagen einer inneren Glocke?
Die Falken waren wieder aufgestiegen, und Cromwell und ich setzten unser
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