Ich, Heinrich VIII.
gespenstisches Gespräch fort.
»Ich habe Meister Smeaton zum Essen bei mir gehabt«, fuhr er fort. »Ich habe ihn vorige Woche in meinem Haus in London bewirtet. Er fühlte sich geschmeichelt ob der Einladung. Es gelang mir, ihn … zum Sprechen zu überreden. Er gab alles zu. Dass er fleischliche Beziehungen zur Königin unterhalten habe.«
»Er sagte … ›fleischliche Beziehungen‹?«
»Ich habe seine Worte hier«, sagte Cromwell. »Wenn Ihr gestattet?« Er deutete zu den Pferden und auf seine Satteltasche. Wir gingen hin, und er zog ein Bündel Papier hervor.
»Die Einzelheiten der Unterredung«, sagte er. »Ich hielt es so für das Beste.«
Ich las das ganze verhasste Schriftstück, in dem Smeaton seinen Ehebruch bekannte und überdies William Brereton, Francis Weston und Henry Norris als Liebhaber der Königin benannte.
Henry Norris. Mein Zimmergenosse, mein Freund.
Ob sie ihn mit besonderem Genuss in ihr Bett genommen hatte?
Bestimmt hatte er sich gesträubt. Ich kannte Norris; er war ein Ehrenmann. Er musste ihr eine schwierige Beute gewesen sein, eine Herausforderung an ihren Erfindungsreichtum und ihre Beharrlichkeit. Aber offenbar hatte sie Erfolg gehabt.
Nach Smeatons Geständnis hatte Anne
Norris gefragt, weshalb er nicht eifriger danach getrachtet habe, die ihm verlobte Margaret Shelton zum Traualtar zu führen, und dann an seiner statt geantwortet und gesagt: »Ah, wenn den König etwa ein Unglück ereilte – wie der Unfall beim Turnier diesen Januar –, dann wollt Ihr mich wohl für Euch allein haben. Ihr trachtet nach den Schuhen eines Toten!«
Auf solche Spottreden also war ich reduziert.
Francis Weston vernachlässigte gleichermaßen seine Gemahlin zugunsten der Verlobten Henry Norris’. Als Anne ihn dafür schalt, erwiderte er: »Es gibt eine in Eurem Haushalt, die liebe ich inbrünstiger als mein Weib oder Mistress Shelton.«
»Aber wen denn?«, fragte Anne unschuldig.
»Ihr seid es«, gestand er.
Als sie Mark Smeaton allein antraf, verdrossen und einsam dreinschauend, da fragte sie ihn grausam: »Weshalb bist du so traurig?«
»Es ist nicht wichtig«, antwortete er mit aller Würde, die er aufzubringen vermochte.
»Nein, bitte sag es mir.« Ihre Stimme war voll Verlockung und Sorge, und gern hätte er daran geglaubt. »Bist du unglücklich, weil ich in Gesellschaft nicht mit dir gesprochen habe?«
Ohne Zweifel war sie erst mit ihm ins Bett gegangen und hatte danach ein höhnisches Vergnügen daran gefunden, ihn in Gegenwart anderer zu ignorieren.
»Du darfst nicht erwarten, dass ich mit dir spreche, wie ich es mit einem Edelmann täte, denn du bist niederen Standes«, erklärte sie liebreizend.
»Nein, nein. Ein Blick soll mir genügen«, antwortete er. »Und so lebet wohl.«
Dergleichen fand sich noch mehr. Anne hatte Mark Goldstücke »für seine Dienste« gegeben.
Ich hatte kein Verlangen danach, weiterzulesen – so wenig, wie man Lust hat, kopfüber in eine Jauchegrube zu springen.
»Da ist noch etwas«, sagte Cromwell. Er förderte ein weiteres Papier zutage. »George Boleyns Gemahlin Jane hat mir anvertraut, dass – dass – hier, Ihr mögt selber lesen, was sie sagte.« Zum ersten Mal sah er verlegen aus.
Ich nahm das Papier entgegen. Es besagte nichts weiter, als dass Königin Anne Boleyn und ihr Bruder George ein Liebespaar seien. Dass sie viele Male miteinander Inzucht getrieben hätten.
»Das ist Frevel«, sagte ich. »Es ist so schmutzig, so pervers, so …« Mir fehlten die Worte, es angemessen, sie angemessen zu beschreiben. »Sie ist die englische Messalina«, flüsterte ich.
Satan … und unser Stolz. Er greift uns in unserem Stolz an. Er hatte gehört, wie ich mir selbst versichert hatte, das sechste Gebot sei das einzige, gegen das sie nicht verstoßen habe. Ich hatte geglaubt, sie sei böse, aber keusch. Satan hatte dies als Herausforderung genommen …
»Der Ehebruch einer Königin ist Verrat. Sich den Tod des Königs vorzustellen, ist Verrat. Wann wollen wir sie verhaften und vor Gericht stellen?«, fragte Cromwell.
»Bald. Lasst es bald geschehen.«
Die Falken hatten neue Beute geschlagen. Es kümmerte mich nicht, was es war. Ich wusste, dass sie töten konnten; was war daran überraschend? Wenn etwas gegen seine eigene Natur handelte – das war überraschend.
»›Ist der Tower weiß und ein anderer Ort grün,
Brennen Bischöf’ zwei, dreie, und eine Königin,
Und ist das geschehen, ist die Welt wieder froh‹«,
rezitierte
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