Ich, Heinrich VIII.
Cromwell. »Das ist ein populärer Vers. Wir haben noch keinen Bischof verbrannt – wie sollten wir auch? Man verbrennt ja nur Hexen und Häretiker. Vielleicht ist dies der Anfang?«
Anne würde brennen. Die Hexe würde brennen. Und das hatte sie die ganze Zeit gewusst; ihre Angst vor dem Feuer rührte aus diesem Wissen.
LXXII
E in Monat verstrich – ein Monat voller Vorsicht und Wachsamkeit, was mich betraf. Ich ließ Cromwell freie Hand, zu tun, was notwendig war, um die Verhaftungen vorzubereiten. Er sollte es verstohlen anfangen und die Betroffenen nicht alarmieren, damit sie nicht etwa die Flucht ergriffen oder (in Annes Fall) den ersten Schlag gegen uns führten. Mein Beinleiden quälte mich noch immer, aber es war nicht schlimmer geworden; das Gleiche galt für Fitzroy und Maria. Ich zweifelte nicht daran, dass sie für uns alle Fataleres geplant hatte, nun aber zauderte, da vier Todesfälle in der königlichen Familie innerhalb von vier Monaten jedermann argwöhnisch gemacht hätten.
In jenen Tagen musste ich mich täglich weiter von Henry Norris in meinem Gemach bedienen lassen. Wenn er mir Schuhe und Hose zurechtlegte, fragte ich mich immer, ob er nun wohl dachte: Die Schuhe eines Toten, die Schuhe eines Toten …? Es erforderte meine ganze Selbstbeherrschung, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich über ihn Bescheid wusste. Ich fühlte mich umzingelt von Verrat, Heuchelei und Laster.
Wäre Jane nicht am Hofe gewesen, hätte ich nichts Reines mehr vor Augen gehabt, und dann hätte ich wahrhaft erfahren, was Verzweiflung ist. Oft erhaschte ich einen Blick auf sie, wenn sie sich in der Gesellschaft von Annes Hofdamen befand; aber da ich Annes Gemächer nicht mehr aufsuchte, sah ich sie niemals aus der Nähe. Hin und wieder erblickte ich sie wohl auch, wenn sie auf der Galerie vorüberging oder unten im Schlossgarten wandelte, stets begleitet von zwei oder drei anderen Damen. Aber allein zu sehen, wie sie sich bewegte, ihre sanften Gebärden zu verfolgen, war mir eine Beruhigung.
Irgendwann jedoch kamen mir böse Gedanken über sie in den Sinn. Ich war ja so eingetaucht in die Verderbtheit und die dunkle Seite der menschlichen Natur, dass mein Geist durch diese Verbindung zwangsläufig beschmutzt werden musste. Ich hörte die boshaften Bemerkungen, die über sie gemacht wurden, und dann auch die, welche mein eigener Kopf erdachte:
Jane ist ein Werkzeug in den Händen ihrer ehrgeizigen Brüder. Sie sind es, die jeden ihrer Schritte lenken und damit berechnend auf deinen Geschmack zielen – und auf deine Schwächen.
Jane ist nicht die tugendsame Frau, die sie zu sein vorgibt; sie spielt nur eine Rolle.
Jane sieht eine Gelegenheit, mit deinem Unglück ihr Glück zu machen. Eine blasse kleine Opportunistin, diese Mistress Seymour – das ist sie unter ihrem spröden Gebaren und den rechtschaffenen Reden.
Aber wenn Jane nicht aufrichtig war, dann war die ganze Welt falsch …
Ich würde die Wahrheit herausfinden. Ich war der Wahrheit noch niemals ausgewichen, und auch jetzt würde ich damit nicht beginnen.
Das waren meine hochtrabenden Worte. Tatsächlich aber war ich verzweifelt darauf aus, diese höhnischen Reden zum Verstummen zu bringen, denn sie drohten den letzten Born irdischen Wohlbehagens zu verschütten.
Und so ergab ich mich ihrer Taktik und entwarf eine Prüfung für Jane; ich verabscheute mich, weil ich es nötig hatte, und sagte mir dennoch immer wieder, es müsse sein.
Ich schrieb ihr einen Brief und teilte ihr mit, ich hätte erfahren, unter welchen Umständen sie das Medaillon meiner Mutter eingebüßt habe, und es sei mir durch Gottes Gnade möglich gewesen, es zurückzuholen. Ich berichtete ihr von meinen beunruhigenden Zweifeln an ihr. Mit dem Brief sandte ich ihr einen prallen Beutel mit goldenen Sovereigns, mehr als einhundert Stück. Ich übergab Börse und Brief einem Kammerdiener und trug ihm auf, Mistress Seymour beides unter vier Augen zu überreichen und ihre Antwort abzuwarten.
Am selben Abend kam er zu mir und brachte mir Brief und Beutel zurück, wie ich sie ihm gegeben hatte.
»Habt Ihr mir nicht gehorcht?«, fragte ich zürnend.
»Doch, Eure Majestät. Ich fand Mistress Seymour allein im kleinen Obstgarten; sie wandelte zwischen den Reihen der Birnbäume; ich nahte mich ihr und gab ihr diese beiden Dinge. Sie nahm sie, und als sie einen Blick darauf geworfen, da … da fiel sie auf die Knie, Eure Majestät.«
»Was – in den Schlamm?«
»Da war kein Schlamm.
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