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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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geschäftsmäßig oder aber wild und unmoralisch – je nachdem, wie alt der königliche Junggeselle ist. In welchem Stadium ich mich befand, erkannte man daran, dass der Hof in den vergangenen zwei Jahren farblos und öde geworden war. Das Interesse der Menschen galt ihrem Besitz, der Religionspolitik und dem Außenhandel: Passionen von Männern in mittleren Jahren.
    Auch das Reich frohlockte, weil es nach so vielen Jahren wieder eine Königin haben würde. Anne hatten die Leute nie akzeptiert, und sie hatten zu wenig Zeit gehabt, sich an meine geliebte Jane zu gewöhnen; so hatte es im Herzen des Volkes keine wahre Königin mehr gegeben, seit meine »Große Sache« damals, 1527, zu rumoren begonnen hatte. Zwölf Jahre hatte es geduldig gewartet. Jetzt brachte ich ihm über das Meer eine Prinzessin herbei, ein zierliches, wohl behütetes Mädchen. Anne würde als der »Silberne Schwan von Kleve« bekannt werden. Schon diese Worte hatten einen seidigen, gleitenden Klang.
    Und als im November zu Kleve der Heiratsvertrag unterzeichnet und beglaubigt worden war und Lady Anna versprach, unverzüglich nach England aufzubrechen, da gab ich die frohe Kunde mit einer Proklamation in ganz England bekannt: Ihr werdet eine Königin bekommen! Und das Volk jubelte hallend zurück: Hurra!
    Wegen der späten Jahreszeit und Annas zarter Beschaffenheit hatte man entschieden, dass sie einen großen Teil des Weges über Land zurücklegen solle, statt eine unangenehme Seereise zu riskieren. Und so bewegte sie sich mit dem Gefolge ihrer Damen langsam durch das nördliche Deutschland und weiter nach Calais, wo sie den Kanal überqueren würden, um rechtzeitig zu Weihnachten in England zu sein.
    Nun, da die Würfel gefallen waren, brannte ich darauf, dass das Abenteuer beginne. Ich hungerte plötzlich danach, jede Einzelheit über ihre Person zu erfahren, auf dass ich mir ein Bild von ihr machen und im Geiste meine Zeit mit ihr verbringen könnte, noch ehe ich sie gewahrte.
    Kaum war Nicholas Wotton wieder bei Hofe, befahl ich ihn zu mir und fing an, ihn mit Fragen zu überschütten. Ich begann mit der Politik und erkundigte mich nach dem Verhältnis des neuen Herzogs zum Vatikan.
    »Denn es hat sich ja auf die Vermählung seiner anderen Schwester mit dem Herzog von Sachsen ausgewirkt und auch Fragen hinsichtlich einer möglicherweise schon früher geschlossenen Vereinbarung zwischen Anna und dem Herzog von Lothringen hervorgerufen«, sagte ich.
    »Aye, aye.« Er lächelte; mit seinem feinen grauen Haar sah sein Kopf aus wie eine Pusteblume. »Aber die Schwester hat trotzdem geheiratet; allerdings habe ich gehört, dass ihrem Manne niemals zu Augen kommen darf, wie sie einen lutheranischen Text liest.«
    »Das kann ich ihm nicht verdenken! Ich würde meiner Gemahlin auch nie erlauben, ketzerische Traktate zu besitzen! Ich nehme an, Lady Anna verbringt ihre Zeit mit der Lektüre der Heiligen Schrift?«, erkundigte ich mich müßig.
    »Nein. Nur sehr selten, nach allem, was ich gesehen habe.«
    »Sie zieht frivole Werke vor?« Hatte sie vielleicht eine Neigung zu Liebeslyrik?
    Er zuckte die Achseln. »Ich habe nichts darüber gehört. Die Deutschen sind nicht der Meinung, dass Weiber allzu viel studieren oder lesen sollten. Sie finden, es mache sie unweiblich.«
    Richtig, das konnte geschehen. Man brauchte nur zu sehen, was die neue Gelehrsamkeit aus Katharina und Maria gemacht hatte – sie waren hart und männergleich geworden. Auch Elisabeth zeigte bereits eine beunruhigende Neigung in dieser Richtung; es ließ sie ernst und reizlos werden – genau wie Arthur! Kein Mann würde Elisabeth je haben wollen, dachte ich betrübt, selbst wenn sie nicht hässlich und ein Bankert wäre.
    »Ah!« Die schöne Lady Anna bewahrte sich also in dem Zustand, in welchem Gott die Frauen erschaffen hatte – ungebildet in allen Dingen außer der Kunst, den Männern zu gefallen. »Sie muss eine bezaubernde Musikerin sein.«
    Er machte ein verblüfftes Gesicht. »Ja?«
    »Nicht?«
    »Ich habe sie nie spielen hören.«
    Dann war sie sicher zu bescheiden, als dass sie vor Fremden gespielt hätte. Oh, ausgezeichnet! Welche Tugend bei einer Jungfrau! Unwillkürlich verglich ich sie mit der anderen Anne, die sich kaum je daran hatte hindern lassen, ihre überschätzten Fertigkeiten auf der Laute jedem, der nur gerade vorbeikam, zu Gehör zu bringen.
    »Ich glaube auch nicht, dass sie irgendetwas spielt«, fuhr er fort. »Ihr Bruder, der Herzog, hält Musikanten

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