Ich, Heinrich VIII.
finden sollten. Wenn es dort eine schwache Stelle gäbe, würde er sie finden und darauf sehen, dass Abhilfe geschaffen werde.
Ich schaute weiter auf die kalte, graugrüne See hinaus, die sich zu meinen Füßen ausbreitete. Solange ich die See betrachtete, brauchte ich nicht zu denken; und ich war des Denkens müde. All meine Gedanken waren unerfreulich.
»Eure Majestät.«
Cromwell stand neben mir. »Ah, Crum.«
»Die unterirdischen Einrichtungen sind wundervoll!«, berichtete er. »Obgleich unter der Erde, wirken sie durch weiß gekälkte Wände, einfache Anlage und offene Räume ästhetisch und sogar geruhsam. Und die Entscheidung, ausschließlich große Kammern anzulegen, ist nicht nur praktisch, sondern trägt auch dazu bei, das hässliche, verkrampfte Gefühl des Eingesperrtseins zu vermeiden. Von Haschenperg ist ein Genie!«
Crum war zwar kein Militärtaktiker, aber er verstand sich doch auf die Bedürfnisse gewöhnlicher Soldaten – hatte er nicht selbst als Söldner in Italien gedient? –, und daher waren seine Bemerkungen nicht ohne Wert.
»Es freut mich, dass Ihr es so seht.«
Wir standen Seite an Seite und schauten nach Frankreich hinüber. Ich wusste, unser Gespräch musste sich mit dieser heiklen Angelegenheit befassen. Aber ich war nicht erpicht darauf.
»Meine Brautverhandlungen mit den Franzosen sind gescheitert«, bekannte er schließlich, die Hände auf dem Rücken verschränkt, den Blick immer noch auf das Meer gerichtet.
»Inwiefern?«, fragte ich und starrte gleichfalls fest zum unsichtbaren Frankreich hinüber.
»Die drei Töchter des Duc de Guise haben sich als … schwierig erwiesen«, erklärte er. »Die erste, Marie …«
Die Witwe des Duc de Longueville, entsann ich mich plötzlich. Der alberne alte Herzog, der in englischer Gefangenschaft als Stellvertreter Ludwigs dessen Ehe mit Maria »vollzogen« hatte … seine Witwe lebte noch?
»Sie ist jung und gilt, wenngleich von kräftiger Gestalt, doch allgemein als anziehend«, sagte Crum auf meine unausgesprochene Frage.
Kräftig. Ich war selber auch »kräftig«. »Nun, da ich selber kräftig bin …«, begann ich.
»Es scheint aber, sie ist schon mit dem König der Schotten verlobt«, sagte Cromwell.
James V., der Sohn meiner Schwester Margaret. Wie alt konnte er sein, wenn James IV . 1513 in der Schlacht von Flodden gefallen war …? Siebenundzwanzig? Zum Teufel mit den Schotten! Seit einer Generation hatte ich nur wenig von ihnen gehört, und ich hatte diese Ruhe für Ergebenheit gehalten.
»Aber ihre Schwestern, Louise und Renée, sollen schön sein. Ich habe Holbein beauftragt, sie zu malen. Leider heißt es, Renée, die Schönste der drei, sei fromm und habe den Entschluss gefasst, in ein Kloster einzutreten.«
Gut. Dann war ich vor den Schwestern de Guise gerettet.
»Franz hat zwei Cousinen, Marie de Vendôme und Anna von Lothringen, die er Eurer Majestät selbst zur gefälligen Erwägung unterbreitet. Holbein hat sich bereit gefunden, auch Anna von Lothringen zu zeichnen, wenn er schon einmal in Frankreich ist, um die Schwestern de Guise zu porträtieren.«
Das war drollig. »Wie sehen sie denn aus, die Valois-Cousinen? Vielleicht könnten wir sie ja alle nach Calais transportieren lassen, damit Lieutenant Lisle das gesamte französische Kontingent begutachtet?«
»Leider gibt es keine zuverlässigen Schilderungen.« Er breitete die Arme aus. »Im Falle der Infantin von Portugal nun würde Karl zwangsläufig einbezogen werden müssen.«
»All dieses Heiratsgefeilsche, und wozu?« Plötzlich war es kein harmloser Zeitvertreib mehr, sondern etwas Bedeutsames und Erniedrigendes. Andere wurden einbezogen.
»Um womöglich noch einen Erben zu bekommen«, antwortete Cromwell. »Gott sei gepriesen für Euren Sohn, einen prächtigen und gesunden Prinzen«, fügte er hastig hinzu. »Aber als weiser und vorausschauender Souverän solltet Ihr noch weitere Söhne für die Thronfolge in die Welt setzen – um Edwards willen wie auch für Euren eigenen Seelenfrieden. Der einzige Sohn zu sein, das ist eine schwere Bürde. Und Gott hat sich als unberechenbar und oft grausam erwiesen.«
Niemand wusste das besser als ich: Nutznießer und Leidtragender ob der Gewalt Seiner »unergründlichen Wege«.
Ich grunzte zur Antwort. Es war schön und gut, sich weitere Prinzen zu wünschen, aber wenn man sie bekommen wollte, brauchte man dazu ein Weib. Da aber lauerte mancherlei Unwägbares und Betrübliches.
»Meine ehrliche Meinung
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