Ich, Heinrich VIII.
ist es«, sagte Cromwell dicht an meinem Ohr, »dass weder das Kaiserreich noch Frankreich ein besonders gutes Jagdrevier für Euch sind. Karl und Franz sind unsere Feinde, und es liegt in ihrem Interesse, Euch in zölibatärer Ehelosigkeit zu halten, während sie Euch mit unerreichbaren Bräuten zu ködern suchen. Nein, Euer Gnaden – Ihr müsst sie überlisten und bei Euren wahren Verbündeten suchen – just wie Abraham eine Braut für Isaak nicht unter den Kanaanitern suchte.«
Woher hatte er all diese alttestamentarischen Kenntnisse? Die hatten nur Gelehrte – und Häretiker.
»Der Herzog von Kleve, katholisch, aber dem Papst nicht unterworfen – wie Ihr selbst –, hat zwei Töchter. Es heißt, sie seien hübsch. Vielleicht sollten wir uns dort erkundigen.«
»Wo liegt Kleve?« Es musste ein unbedeutendes kleines Herzogtum sein.
»Es ist klein, Euer Gnaden, aber strategisch gelegen: am unteren Ende des Rheines, wo der mächtige Strom sich wie eine Hand in die flachen Ebenen verästelt, die an die Niederlande grenzen. Es sitzt wie ein lästiger Dorn in der Flanke des Kaisers«, stellte er genussvoll fest. »Soeben hat der alte Herzog hineingezwickt und Karl das Herzogtum Geldern unter der Nase wegstibitzt. Er ist streitsüchtig und unabhängig. Und es kann sein, dass er schöne Töchter hat.«
Schöne Töchter. Eine Rheinjungfer wie Loreley? Ich bekenne, dass meine Fantasie erwachte. Es wäre einmal etwas ganz anderes, ohne jede Erinnerung an die grausame Vergangenheit. Vielleicht war ich bereit für eine grundlegende Veränderung. Wenn es eine Frau gäbe, die mir helfen könnte, sie alle zu vergessen: die spanische Katharina, die französierte Anne, die rein englische Jane …
»Nun« – ich suchte Zeit zu gewinnen –, »dann stellt Erkundigungen an. Und wenn Holbein später Zeit hat, kann er vielleicht auch von ihnen ein Porträt malen.«
Cromwell nickte langsam.
»Und bittet unseren Botschafter in den benachbarten Niederlanden, er möge ihren Hof besuchen«, setzte ich hinzu, »und uns nachher die Töchter von Kleve beschreiben.«
Die Töchter von Kleve … das hatte einen altertümlichen, poetischen Klang.
Die Berichte widersprachen einander.
Christopher Mount, der beauftragt war, über eine mögliche Allianz mit Kleve zu verhandeln, schrieb an Cromwell, und dieser fasste seinen Brief für mich zusammen:
Besagter Christopher mahnt täglich dringend, dass man das Bild möge senden. Worauf der Herzog geantwortet, er werde es bei Gelegenheit senden; es sei aber sein Maler Lucas krank daheim geblieben. Jedermann preiset die Schönheit besagter Dame, und sowohl von Angesicht als auch in ihrem Wesen übertreffe sie andere Damen. Einer unter mehreren sagte kürzlich, sie übertreffe die Herzogin von Sachsen ebenso, wie die güldene Sonne den silbernen Mond wohl in den Schatten stellt. Jedermann preiset schamrot solche Tugend und Ehrlichkeit, wie sie in ihrer heiteren Haltung offenkundig zu sehen ist.
Ein anderer Abgesandter, Hutton, schrieb: »Der Herzog von Kleve hat eine Tochter, doch hört man kein großes Lob über ihr Wesen oder ihre Schönheit.«
Dann traf Holbeins Skizze ein; sie zeigte eine schöne und bezaubernde Frau, bescheiden wie Jane, aber geschmückt wie eine babylonische Prinzessin.
Mein oberster Verhandlungsbeauftragter in Sachen dieser Heirat, Nicholas Wotton, sandte keinen Bericht vom Hof zu Kleve.
Unterdessen verschlimmerte sich die Situation zwischen England und den katholischen Mächten. Franz und Karl zogen ihre Botschafter von meinem Hofe ab, und es gab Berichte, denen zufolge man in Boulogne dabei war, eine französische Flotte zu bauen; Franz habe sieben neue Kriegsschiffe in Auftrag gegeben, um unsere Küste zu überfallen. Der alte Herzog von Kleve starb; sein Nachfolger war sein Sohn, der zu unserer Erleichterung ebenso wie sein Vater ein Gegner des Kaiserreiches war. Er hatte großes Interesse daran, sich mit England zu verbünden, und er hatte Verbindung zur Schmalkaldischen Liga, einer Union norddeutscher Staaten, die gegen Papst und Kaiser eingestellt war.
Cromwell, der als junger Mann in den Niederlanden gelebt und gearbeitet hatte (er war Schreiber eines englischen Kaufmannes und Abenteurers gewesen), versicherte mir immer wieder, dass Ehre nicht nur in den alten Königreichen von Hispanien und Gallien und beim Papsttum daheim sei, sondern ebenso auch in den nördlichen Herzog- und Fürstentümern.
»Ihr habt nichts zu fürchten«, sagte er. »In Zukunft
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