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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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einundfünfzig Zoll.
    Alle Fröhlichkeit verflog für einen Augenblick. Einundfünfzig Zoll? Hatte ich an Leibesumfang vierzehn Zoll zugenommen? In nur vier Jahren?
    Ich trat vor den Spiegel, der seitlich aufgestellt war, und betrachtete mich – betrachtete mich zum ersten Mal seit Janes Tod wirklich. Der erste Eindruck war der von einem großen weißen Wal. Nein! Und die Wölbungen an meiner Gestalt – war das wirklich Fett, oder waren es Unebenheiten im Metall des Spiegels? Ich war wie vom Donner gerührt, sodass ich mir diese Fragen so unverblümt stellen konnte.
    Etwas Rotes tauchte hinter dem Wal auf, eine von ähnlichen Rundungen gewellte Gestalt. Also lag es doch am Spiegel.
    Ich drehte mich um und sah Thomas Culpepper, der mit gierigem Gesicht hinter mir stand. »Ah, Thomas«, sagte ich. »Ich hätte mir denken können, dass Ihr teure Stoffe noch durch die Tür des königlichen Privatgemaches wittert. Ja, Ihr dürft Euch etwas aussuchen.«
    Ich hatte den Burschen gern; er hatte inzwischen Henry Norris’ Stellung inne und bediente mich in meinem Schlafgemach, und so schämte ich mich nicht, mich vor ihm unbekleidet zu zeigen. Ich meinerseits kannte alle seine Geheimnisse – ja, sogar die schmutzige Geschichte von seiner Affäre mit der Frau des Wildhüters und seinem Angriff gegen ihre Erretter. Schändlich!
    »Oh?« Ein Grinsen breitete sich auf seinem hübschen Antlitz aus. Eine Gunst lehnte er niemals ab.
    »Ein verfrühtes Geschenk an einen meiner Trauzeugen«, sagte ich. »Ich lasse mir gerade meine Hochzeitsgewänder anmessen.«
    »Die Hochzeit wird öffentlich sein?« Er zeigte sich überrascht. »Ich dachte …«
    »Warum denn nicht?«
    »Nun, weil Eure vorige Vermählung mit Königin Jane so still und ruhig gefeiert wurde.«
    Und erst die mit Anne Boleyn! Aber ich wusste, was er meinte: Ist es denn in Anbetracht Eurer ehelichen Vergangenheit schicklich, Sire, eine öffentliche Veranstaltung aus der vierten zu machen?
    »Ich werde tun, was mir gefällt!«, donnerte ich; ich hatte seine Gedanken gelesen und beantwortete seine Frage. »Ihr glaubt also, die Leute werden mich auslachen? Sie werden mich für einen alten Narren halten – ist es das?«
    Seine Miene war verärgert, nicht verängstigt. Aber sein Problem war ja auch der Mangel an Klugheit, nicht der Mangel an Mut. »Nein, Euer Gnaden.«
    »Ihr glaubt, ich kann es mir nicht leisten?« Ich konnte es nicht. Wenigstens nicht gut. Wohin waren nur die Klosterschätze so schnell verschwunden? Zu einem großen Teil hatten die Verteidigungsbauten an der Küste sie verschlungen.
    Er lächelte sein blendendes Lächeln. »Ich denke nur, dass tiefster Winter sein wird – kaum die rechte Zeit für große Freudenfeste unter freiem Himmel. Das ist alles.«
    Ein schlauer Bursche. Mit der Zunge so gewandt wie mit dem Schwert … und mit dem Glied. Die beiden Letzteren brachten ihn in Schwierigkeiten, und die Erstere errettete ihn immer wieder.
    »Ach, nun erwählt Euch schon etwas.« Ich gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf und zog meinen Hausmantel an. »Nehmt für den Leib neunundvierzig Zoll«, befahl ich dem Schneider. Kein Grund, sich schon ins Unvermeidliche zu fügen. Ein Hochzeitswams mit einem Bauch von einundfünfzig Zoll? Nicht für König Heinrich VIII.!
    Culpepper hielt einen granatfarbenen Samt in die Höhe, sattrot wie ein Rubin des König Salomo. Aber die Farbe passte nicht zu seinem Gesicht; er sah damit ausgezehrt aus, als wäre er zu lange nicht an frischer Luft gewesen. »Nein«, sagte ich.
    Aber er betrachtete den Stoff hartnäckig. »Es gibt eine, der würde er gut zu Gesicht stehen«, erklärte er schließlich.
    »Eine Dame?«
    »Aye. Meine Base Catherine. Sie ist ein Waisenkind und hat nur wenig.«
    Culpepper war nicht bekannt für sein mildtätiges Herz, und so argwöhnte ich, dass er sie zu verführen beabsichtigte und den Samt dazu als Köder benutzen wollte. »Wie rührend.« Aber ich gewährte ihm den üppigen Stoff, den er so sehr begehrte, nicht. »Kommt, sucht Euch etwas anderes aus.«
    Die lauernde Lüsternheit in seinem Gesicht wurde von der ursprünglichen Habgier verdrängt. Er entschied sich für einen Goldbrokat, der mit scharlachroten, kreuzweise verlaufenden Fäden gemustert war. Damit würde er am ganzen Leibe goldglänzend erscheinen, ein Gott der Jugend.
    Neid durchfuhr mich. Wie du jetzt bist, so war ich einst …
    Meine unförmige Gestalt funkelte mich aus dem Spiegel an. Wie ich jetzt bin, so wirst du sein …

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