Ich, Heinrich VIII.
drei neue Stücke – eine Motette und zwei Balladen, meine ersten Kompositionen seit Jahren.
Aus dem ganzen Reich strömten auf meine ausdrückliche Einladung die Peers zusammen, um Weihnachten bei Hofe zu feiern und ihre neue Königin zu begrüßen. Thomas Howard, der Herzog von Norfolk, mit seinem traurigen, scharf geschnittenen Gesicht – fünfundsechzig Jahre alt. Charles Brandon, der Herzog von Suffolk, inzwischen massig wie ein Bär, Haar und Bart silbrig glatt und glänzend. Hatte ich ihm wahrhaft vergeben, dass er so kurz nach Marias Tod wieder geheiratet hatte? So, wie die sanfte Jane mir hoffentlich vergeben würde, denn zwei Jahre kamen mir jetzt nicht viel länger vor als jene zwei Monate damals.
Howard und Brandon: Die beiden Einzigen, die vom alten Wald noch übrig waren – zwei massige Eichen. Rings um sie herum lauter Grünschnäbel: Die »neuen Männer« wie Paget, Wriothesley, Southampton, Audley. Sie waren schmächtig, und sie würden es bleiben, mochten sie mit noch so vielen Titeln überhäuft sein. Unscheinbarkeiten, Amtsträger. Die wahren Männer – More, Wolsey – gab es nicht mehr, und es war keiner ihres Kalibers herangewachsen, sie zu ersetzen.
Altmännergedanken!, schalt ich mich selbst. Unpassend für einen Mann, der seine Braut erwartete. Nein, auch wenn vieles sich geändert hatte, war es doch eine Tugend, noch zu leben und zu blühen; noch war Leben in uns allen, und wir würden Weihnachten in klingender Fröhlichkeit feiern.
Aber es fügte sich, dass wir es als Junggesellenhof feierten. Denn starke Winde machten den Kanal unschiffbar, sodass Lady Anna und ihr königlicher Konvoi von fünfzig Schiffen erst am dritten Weihnachtstag, also am siebenundzwanzigsten Dezember, zur Überfahrt in See stechen konnten.
Wiewohl ich lachte und mich fröhlich zeigte, ließ dies doch eine Saite der Einnerung in mir erklingen: Ich dachte an die verzögerte Reise Katharinas von Aragon nach England …
Schon wieder Altmännergedanken: Ich sah Vorzeichen allenthalben und duckte mich wie ein Hund. Der Wind wehte also! Und? Dem Sturm, der Verzögerung und allem, was das Schicksal sonst noch senden mochte – dem konnte man entgegentreten, und zwar nach eigenen Bedingungen. Was immer der Wind mir vor die Füße wehte, ich konnte damit ringen und gewinnen.
Die schöne Lady Anna überquerte den Kanal in nur fünf Stunden (da – war das nicht ein entgegengesetztes Omen?) und landete in Deal. Man bereitete ihr einen höchst feierlichen Empfang: Brandon und seine Herzogin, der Bischof von Chichester, ein Gefolge von Rittern und die »Blüte der Damen von Kent«, wie der poetische Henry Howard es nannte, hießen sie willkommen. Sie geleiteten Anna mit ihren Damen und ihrem Gefolge nach Canterbury, wo der Erzbischof und die hohen Prälaten Englands sie empfingen.
Das weiße Rasen eines Schneesturms hielt ihre Reisegesellschaft noch einen weiteren Tag lang in Canterbury fest, aber kaum hatte der Himmel sich geklärt, ließen der Herzog von Norfolk, Lord Dacre aus dem Süden und Lord Mountjoy mit all ihren Rittern und Junkern die Reihen der Begrüßungsscharen anschwellen, bis es eine wahre Triumphprozession geworden sein musste. Am Silvesterabend wurde der Zug von einem neuerlichen Unwetter aufgehalten. Die vielköpfige Schar feierte den Beginn des Jahres 1540 behaglich in den Mauern von Rochester Castle, und ich tat das Gleiche in Hampton Court.
Doch als es Mitternacht schlug, empfand ich unwillkürlich Neid auf all jene – ein paar Hundert waren es ja schon –, die meine Braut vor mir hatten sehen können. Ich musste es irgendwie bewerkstelligen, sie selbst unter vier Augen zu sehen, ehe ich sie in einer ausgedehnten, von Cromwell genau geplanten Zeremonie vor ganz London begrüßte. Ich informierte Crum entsprechend, aber er zeigte sich schmerzlich berührt.
»Die Zeremonie …«, hob er an.
»Ja, ich weiß! Ich soll eine Marionette sein, eine prachtvoll gekleidete Puppe, die dem Volk vorgeführt wird, während sie einer zweiten Puppe begegnet. Wir haben sogar schon die Bühne bereitet, indem wir alles Stechginstergestrüpp zwischen Blackheath und Greenwich haben roden lassen. Aber, Crum, so etwas kann die Liebe nicht fördern!«
Meine Wortwahl ließ ihn zusammenzucken. »Das kann es sehr wohl. Mehr noch, nichts anderes wird es so unfehlbar tun – beim Volke. Das Volk liebt mit den Augen. Die Leute wollen Gold sehen, Silber, Rubine, Saphire, Smaragde. Sie wollen herrlich gemusterte
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