Ich, Heinrich VIII.
Sein Atem stank. Dies war ein Albtraum, nicht die Wirklichkeit!
Rückwärts wich ich zur Kammer hinaus, tastete hinter meinem Rücken nach der Tür, warf sie ins Schloss, lehnte mich dagegen. Übelkeit quoll mir in die Kehle, ich fühlte den beißenden Geschmack des Erbrechens, kämpfte es nieder. Mit der Übelkeit aber wichen auch die Erregung, die Panik und Bilder meiner Fantasie. An ihrer Stelle erhob sich Zorn – ein Zorn, so kalt und so heiß zugleich, wie ich ihn nie zuvor gefühlt.
Man hatte mich über den Löffel balbiert, betrogen. All die Leute, die sie gesehen hatten – all die Emissäre, die mit ihr zusammengetroffen waren und die Hochzeit in die Wege geleitet hatten –, sie hatten es gewusst. Gewusst und nichts gesagt. Gewusst und mich absichtlich in diese Ehe geführt. Sie steckten alle unter einer Decke – Cromwell, Wotton, der Herzog von Kleve, Lord Lisle und die ganze Gesellschaft in Calais. Und Holbein! Holbein, der noch die feinsten Eigenheiten eines Gesichtes mit seinem Pinsel einzufangen wusste, Holbein, für den keine Haut zu hell, kein Wangenhauch zu zart war, ihn nachzuschöpfen, kein Edelstein zu facettenreich, als dass er ihn nicht makellos hätte wiedergeben können – Holbein hatte sie hübsch gemacht!
Ich stapfte zurück in die Große Halle, wo die Verschwörer alle versammelt waren. Ja, da hockten sie beisammen, tranken ihren dummen Glühwein und lachten über mich. Ich hörte sie lachen. Sie stellten sich die grässliche Szene vor, die sich in Lady Annas Gemach abspielte, aber für sie war sie nicht grässlich, sondern komisch. Dafür würden sie bezahlen!
»Lord Admiral!«, rief ich von der Tür aus, und die Meute verstummte. Der Graf von Southampton drehte sich grinsend um – und sein Grinsen verwelkte.
»Kommt hierher!«, befahl ich, und Fitzwilliam kam mit erstaunter Miene auf mich zu. Was für ein ausgezeichneter Schauspieler er war. Es wäre besser gewesen, wenn er ein wenig schlechter gewesen wäre.
»Sire?« Genau der richtige Unterton von Verblüffung.
»Wie gefällt Euch die Lady Anna, Admiral?«, fragte ich leise. »Fandet Ihr sie so ansehnlich, von so heller Schönheit, wie man es berichtete, als Ihr sie zu Calais das erste Mal gewahrtet?«
»Ich finde sie nicht hell, sondern eher bräunlich«, antwortete er – witzig, wie er meinte.
»Wie gerissen Ihr seid. Ich wusste nicht, dass Ihr Euch zusammen mit Wyatt und Surrey hinter Täuschungen und Metaphern verschanzt.« Wütend ließ ich meinen Blick durch den Saal wandern. »Gibt es denn keinen, dem ich vertrauen kann? Ich schäme mich für Euch alle, ich schäme mich, dass Ihr es wagen konntet, sie zu preisen und – durch Wort und Bild – als gewinnend zu beschreiben. Sie ist ein mächtiger flandrischer Gaul! Und ich will sie nicht haben, nein, will sie nicht satteln und nicht reiten noch vor irgendeinen Karren in England spannen!«
Niemals, niemals würde ich sie anrühren! Wenn die Betreiber dieser gräulichen Komödie glaubten, ich würde mich mit ihr vermählen – wenn sie annahmen, ich würde das Begonnene demütig zu Ende bringen –, dann kannten sie Heinrich von England nicht! Für wen hielten sie mich? Für Franz von Frankreich, den man zwingen konnte, »des Kaisers Maultier« zu heiraten?
»Sattelt Eure Pferde und kommt mit mir! Dafür werdet Ihr Euch in Greenwich verantworten!« Ich wollte nicht nach Hampton Court zurückkehren – Gott, nein! Für Geschäfte, für unangenehme Geschäfte, war Greenwich da. In Greenwich hatte ich Katharina von Aragon geheiratet; in Greenwich hatte Anne die unnütze Prinzessin Elisabeth zur Welt gebracht und meinen Sohn verloren. Mochte Greenwich nun der Ort sein, wo die flämische Mähre umgedreht und in die Niederlande zurückverschifft werden sollte, auf dass sie dort ihren Heuwagen ziehe!
Die bittere Kälte war schlimmer geworden, als wir in Greenwich anlangten, denn die Sonne – ein kleines, geschrumpftes, blutrotes Ding – ging unter, und die sechzehnstündige Nacht begann. Ich ritt geradewegs zum Torhaus und hindurch, über den weiten Hof und zum königlichen Portal. »Cromwell soll kommen«, kläffte ich einem Pagen zu und begab mich sogleich zur Kammer des Geheimen Staatsrates. Es war dunkel und staubig dort, denn sie war während der letzten zwei Monate, da ich zu Hampton Court Hof gehalten hatte, nicht benutzt worden. Diener brachten hastig Bienenwachskerzen herbei und wischten den Staub vom Ratstisch. Ein Feuer wurde entfacht, um die klamme Kälte
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