Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
Vom Netzwerk:
schätzen. Zweimal war ich davongekommen.
    Und das eine Mal hätte es verheerender nicht ausfallen können. Keine arrangierte Ehe hätte so grauenvoll sein können. Wie konnte ich also über die nächste urteilen?
    Ich schlief rastlos und unruhig. Ich träumte, ich sei wieder ein Knabe im Arm meiner Mutter. Der Wunsch war Vater dieser Erinnerung, denn soviel ich wusste, hatte sie mich nie im Arm gehalten.

LXXXVII
    D er Morgen des sechsten Januar. Dreikönigstag … schon immer mein liebster Feiertag. Welche Ironie, dass ich an diesem Tag mit Anna verbunden werden sollte …
    Grunzend warf ich meine Decken ab. Das Schwelgen in Erinnerungen – ein Spiel für alte Männer. War es schon so weit gekommen? Wahrlich, ich wollte es nicht wieder tun. Taten waren besser, als in Betrachtungen zu versinken. Gleich welche Taten.
    Also ließ ich mich wieder auf meine Kniebank sinken und bat Gott um Seinen Segen und Seine Anleitung. Wiederum fühlte ich mich erfüllt von seiner Kraft. Sollte es so nun jeden Tag zugehen, bis ans Ende meines Lebens? Hatte deshalb das Manna in der Wildnis nur einen Tag überdauert? Hatte deshalb Jesus seinen Jüngern aufgetragen, nur zu beten: »Unser täglich Brot gib uns heute?« Ich bat; mir ward gegeben. Und ich ging hin und heiratete.
    Cranmer traute uns. Alles war in Ordnung (mit Ausnahme meines tauben Herzens). Der Saal war erfüllt von Dienern in Pelzen und Juwelen und Kerzen aus reinem Bienenwachs, die im Luftzug nur leise flackerten. Ich gab Anna einen Ring mit der Inschrift: »Gott behüte mich«, küsste sie und machte sie zu meinem Weibe. Und die ganze Zeit über fühlte ich nichts.
    Es gab ein Bankett, wie gewohnt. Die Stunden vergingen, und Anna und ich sahen einander kaum. Wie Perseus vor Medusa wagte ich nicht, sie anzuschauen, auf dass ich nicht in Stein verwandelt würde und nicht vollenden könnte, was ich vor mir wusste.
    Der kurze Wintertag ging zu Ende, und die lange Nacht brach an. Sechzehn Stunden würden wir im Brautgemach verbringen – sechzehn Stunden der »Verzückung« für gewöhnliche Menschen und der Pflicht für einen König.
    Wir waren allein. Alle Diener hatten sich zurückgezogen und uns im Brautgemach allein gelassen, das an Üppigkeit nicht zu übertreffen war. Das große Bett war mit seidenen Laken aus Persien bezogen, und in der Ecke kräuselte sich Weihrauch diskret aus Räucherfässern. Wahre Leidenschaft hätte solcher Unterstützung nicht bedurft, doch da sie fehlte, setzten wir unser Vertrauen in sie.
    Wie viele Male hatte ich in meiner Fantasie schon eine Fremde geliebt? Ich stellte es mir als einen Zirkus der Wollust vor, wo jeder Impuls sich frei austoben durfte, weil diese unbekannte Frau zu allem bereit sein würde, unfähig zu Zensur oder Urteil. Jetzt sah ich mich der Wirklichkeit gegenüber: einem mächtigen Schatten hinter einem seidenen Schirm, wo Anna sich umherbewegte und sich auszog. Bildete ich es mir ein, oder trödelte sie mit Absicht? War sie ebenso unbegierig, ebenso angstvoll wie ich?
    Die Kerzen brannten zusehends herunter. Ich hatte erwartet, um diese Zeit alles erledigt und hinter mir zu haben. Wieso brauchte sie so lange? Ich schenkte mir einen Becher Wein ein, dann noch einen. Ich suchte einen Zustand zu erreichen und zu erhalten, in dem ich besinnungslos meine Pflicht erfüllen könnte. Ich brauchte genug Wein in mir, um die Bangigkeit zu dämpfen, aber nicht so viel, dass er mich beeinträchtigte – ein Gleichgewicht, das nicht leicht zu finden war.
    Dann erschien sie. Langsam trat sie hinter dem Schirm hervor und ging zum Bett. Ich näherte mich von der anderen Seite. Der Kerzenschimmer ließ ihre Züge verschwimmen, und ich war darauf bedacht, nur ihr Haar anzustarren, welches lang und golden und glänzend auf ihren Schultern lag, nachdem sie es gekämmt hatte.
    Schwerfällig kletterte sie ins Bett. Ich folgte. Dann saßen wir Seite an Seite auf den schlüpfrigen Laken, blickten starr vor uns hin und wagten nicht, einander anzuschauen.
    Sie ist eine Ausländerin, sagte ich mir, fern ihrer Heimat, verheiratet mit einem Fremden. Eine Jungfrau im Bette eines Mannes, ins Ehejoch verkauft auf der Grundlage eines Porträts. Wie verängstigt sie sein musste! Ich hatte in dieser Angelegenheit doch wenigstens den Anschein einer Wahl gehabt, aber sie nicht. Mein Herz öffnete sich für sie, und in diesem Augenblick streckte ich die Hand nach ihr aus, nach meiner sanften, jungfräulichen Braut …
    Ich küsste sie und begann, sie mit

Weitere Kostenlose Bücher