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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Cromwells Scharfsinn. Die Unterwerfung des englischen Klerus: Cromwells Plan. Die Auflösung der Klöster: Cromwells großer Entwurf. Diese Maßnahmen hatten mich zum Oberhaupt der Kirche gemacht, und der Reichtum der Klöster hatte ersetzt, was ich in meinen Frankreichfeldzügen an Ererbtem verschleudert hatte. Was aber hatten sie für Cromwell bewirkt? Niemand tut etwas, das ihm nicht letzten Endes selbst am meisten nützt; das wusste ich jetzt, wenngleich ich es nicht immer gewusst hatte. In Wolseys Fall war der Nutzen offenkundig gewesen und hatte sich unübersehbar gezeigt. Cromwell hingegen hatte keine Titel gesammelt, sich nicht an Reichtümern ergötzt, nicht mit Weibern getändelt und sich nicht in hohen Amteswürden gesonnt. Er war nicht Kanzler und trug keine goldene Kette. Er führte nicht den Vorsitz in der Sternenkammer oder im Parlament. Was trieb ihn an? Was wollte er? Was immer es war – sich in mein Vertrauen zu schleichen, sich unentbehrlich zu machen und mich unter das Joch der flämischen Mähre zu spannen, das alles gehörte zu seinem Plan. Zwar kannte ich diesen Plan noch nicht, aber ich kannte Cromwell gut genug, um zu wissen, dass er einen Plan hatte, denn nichts in seinem Leben war dem Zufall überlassen. Also würde ich die Augen offenhalten und abwarten. Und inzwischen … Ich schaute zu Anna hinüber … Ich würde so tun müssen, als wären wir Mann und Frau. Und Cromwell schließlich auf die Schliche kommen. Dabei würde Anna mir von Nutzen sein.
    Ich ließ sie schlafen. Ich hatte keine Lust, mich von Leuten umgeben zu lassen, solange ich meine Gedanken nicht in rechte Bahnen gebracht hatte. Sollten die Leute nur denken, wir verschliefen, weil diese Ehe ein so großer Erfolg geworden sei. Das kam meinen Plänen besser zupass.
    So werden wir alt. Es zeigt sich nicht in schmerzenden Knien oder triefenden Augen. Es zeigt sich darin, dass wir Dinge, die in der Jugend schlichtes Vergnügen sind, zu etwas Falschem verkehren, um unser Gesicht zu wahren. Die Hochzeitsnacht wird so zu einer politischen List. Damit verraten wir uns selbst und sehen überrascht, wie weit wir auf der Reise unseres Lebens schon fortgeschritten sind.
    Kurz vor Mittag begrüßten Anna und ich, angetan mit den Gewändern des »zweiten Tages«, Cromwell und die anderen Mitglieder des Geheimen Rates, ehe wir uns zu einem Mittagsschmaus begaben. An diesen kurzen Wintertagen wurde das Mahl serviert, wenn die Sonne am höchsten stand. Ich achtete darauf, nicht übermäßig zu lächeln, auf dass man es nicht falsch deutete. Mochten sie sich die Köpfe über meine wahren Gefühle zerbrechen; mochten sie sich fragen, wie zufrieden ich war. Niemand sollte genau wissen, wie er mit mir stand.
    Eine Woge des Behagens durchströmte mich angesichts dieser Situation. Es machte mir Spaß, Menschen im Ungewissen schweben zu lassen, sodass sie nicht genau wussten, was mit ihnen geschah – oder was mit ihnen geschehen würde. Ein solches Gefühl war scheußlich, und ich schämte mich, dass ich es so genießen konnte. Aber Empfindungen und Gefühle waren keine Sünde, oder? Taten waren Sünde, und ich hatte nichts Böses getan. Im Gegenteil, ich benahm mich ihnen gegenüber höchst großmütig und königlich. Ich sprach unbestimmt von »unserer Freude« an der Lady Anna und lud sie alle ein, an »unserem Mahle« teilzunehmen.
    Fünfzig Angehörige des Hofes speisten mit uns in der Großen Halle. Anna und ihre Damen aus Kleve, alle mit der gleichen Haube, die ihren Kopf umragte wie die runzligen Ohren eines Elefanten, saßen auf der Estrade und schnatterten durcheinander.
    Cromwell, wie gewohnt in schlichtes Schwarz gekleidet, saß gleich unten am Tisch zu meiner Rechten und redete ernst mit Brandon. Ich sah, dass er seinen Wein unangetastet ließ. Brandon natürlich nicht. Am Tisch gegenüber saßen die Frauen. Brandons neue Gemahlin, Katherine (In Gedanken nannte ich sie beharrlich »seine neue Gemahlin«, obgleich sie verheiratet waren, seit Prinzessin Elisabeth lebte.), Bessie Blount – jetzt Lady Clinton. Mein Blick verharrte zärtlich auf ihr, aber sie war nicht mehr die Bessie, die ich einst gekannt. Sie war mager und hustete oft, und sie zog sich die Pelze so eng um die Schultern, wie sie es aus Gründen der Mode nur wagen konnte. Sie hatte die Schwindsucht. Ich konnte es sehen, und ein Teil meiner selbst konnte es kalt zur Kenntnis nehmen, während der andere schmerzlich zusammenzuckte. Nicht Bessie … sie konnte nicht alt

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