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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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geschlossenen Augen zu liebkosen. Es war kalt im Zimmer, und ihre natürliche Keuschheit würde danach schreien, nur in der Dunkelheit und unter der Decke entblößt zu werden. So blies ich die Kerzen auf unserem Nachttisch aus, und nur die roten, tanzenden Flammen im Kamin erhellten jetzt noch den Raum. Das Feuer knisterte und seufzte; auch Anna seufzte und entspannte sich in meinen Armen.
    Wie weich und warm ihr Nachtgewand war, wie dick und sinnlich ihr Haar! Ja – um die Wahrheit zu sagen –, wie gut war es, wieder eine Frau, eine Jungfrau in meinen Armen zu fühlen. Ich legte die Hand auf ihre Brust unter dem Nachthemd.
    Statt der festen, hohen Brüste einer Maid fühlte ich die schlaffen Zitzen eines Weibes, das längst über die Blüte seiner Jahre hinaus war. Ich war so entsetzt, dass ich meine Hand mit einem Schreckensschrei zurückzog. Anna fuhr zusammen, und ich merkte, dass sie sich mir entzog.
    Es konnte nicht wahr sein! Ich konnte meiner eigenen Hand nicht glauben; gewiss hatte ich aus Versehen nur ein Kissen angefasst. Ich streckte die andere Hand aus und wollte sie zu mir zurückziehen, und ich berührte eine weiche, bebende, runzlige Masse – ihren Bauch!
    »Ihr habt gelogen!«, rief ich da. »Ihr seid älter, als Ihr behauptet, Ihr seid verwelkt, vertrocknet! Ich bin betrogen!«
    Sie sprang aus dem Bett, entsetzt ob meiner englischen Tirade. Die Betrügerin! Mit einem Satz war ich aus dem Bett, riss ihr die Decke herunter, die sie vor sich umklammert hielt, und entblößte ihren Körper in all seiner Schaurigkeit. Ihre Brüste hingen schrumplig herab, ihr Leib war ein gedunsener Wanst …
    »Pfah!«, schrie ich voller Ekel.
    Sie schaute mich an, und ihre Augen wurden schmal. »Pfah!«, spie sie zurück und zeigte auf mein Glied, das nackt aus meinem Nachthemd hing. »Pfah!«, wiederholte sie, machte dann ein geringschätziges Handzeichen und fing an zu lachen. Es folgte ein langer Strom von widerwärtigen deutschen Klängen, als sie fortfuhr, mich zu beschimpfen und meine Männlichkeit zu schmähen.
    Und wieso sollte mein Glied bei ihrem Anblick nicht klein und geschrumpft aussehen? Ich fand nicht, dass es etwas mit mir zu tun habe. Sie aber sah aus wie eine Hexe, wie sie keifend im Feuerschein stand. Ich fing an, sie nachzuahmen, und schob mir ein Kissen unter mein Nachthemd, um ihren grotesk hässlichen Bauch nachzuformen, aber sie lachte nur umso lauter. Auch ich fing an zu lachen. Jäh erkannte ich, dass dieses fremde Weib mich nicht in Verlegenheit gestürzt, sondern amüsiert hatte, und dass ich mich in ihrer Gegenwart so frei fühlte, wie bei niemandem je zuvor. Unser Gelächter wurde schriller und schriller, bis wir krampfhaft nach Luft schnappten.
    Da erstarb das Lachen langsam, und wir schauten einander an. Im matten Feuerschein, der für Frauen meist so schmeichelhaft ist, war sie immer noch schrecklich hässlich. Nein, nicht schrecklich – sie schreckte mich nicht mehr, und ich sie auch nicht. Aber die Situation – gütiger Jesus, diese Situation! Ich war der Mann eines Weibes, dem ich kein Mann sein konnte. Und das war nicht zum Lachen.
    Verdrossen ließ ich den Kopf in die Hände sinken, und so verharrte ich eine ganze Weile. Dann spürte ich, dass lähmende Müdigkeit mich erfüllte. Ich sehnte mich nach Schlaf; in meinem Kopf drehte sich alles. Ich blickte zu Anna hinüber und sah, dass sie mich wachsam beobachtete, wie ein Vogel eine Katze beäugt.
    Sie hatte doch Angst vor mir. Zwischen den Fingern (sie konnte nicht sehen, dass ich zu ihr hinschaute) entdeckte ich in ihrem Antlitz Besorgnis und animalische Angst. Dann fiel mir ein, wie Will mir berichtet hatte, was Christina von Dänemark auf meine Erkundigungen nach ihrer Heiratswilligkeit angeblich gesagt hatte: »Seine erste Königin tötete er, indem er ihr das Herz brach; die zweite starb einen ungerechten Tod auf dem Schafott, die dritte durch mangelhafte Pflege nach der Geburt ihres Kindes.« Und dann: »Doch hätte ich zwei Köpfe, es stünde einer davon dem König von England zur Verfügung.« Ich hatte geglaubt, es sei einer von Wills Späßen, und hatte gelacht. Jetzt aber fragte ich mich, ob es nicht wahrer gewesen war, als er ahnte.
    Will:
    »Wahrer, als er ahnte.« O Heinrich, Heinrich! Du warst derjenige, der blind und taub für das geworden war, was in den Augen Europas aus dir geworden war. Als du deine Gesandten ausschicktest, dir eine neue Braut zu suchen, da warst du nicht mehr der erstrebenswerte

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