Ich, Heinrich VIII.
wie Segel. Vielleicht würde es dem Menschen eines Tages möglich sein, auf einem gefrorenen Meer zu segeln … wenn die Schiffshaut aus sehr dickem Holz gebaut wurde, in mehreren Schichten … Ah, was vermochte ich nicht alles an diesem Tag, was hätte ich nicht erfinden können, und wäre es nur in meiner Fantasie gewesen?
Von Pracht umgeben ritt ich hinaus. Eine solche Schar von wacker herausgeputzten Rittern – sechstausend, alles in allem genommen und einschließlich der Königlichen Leibgarde, Ehrenpagen, Lanzenträger und Ehrenwache in ihrem vollen Staat: Der dunkelrote Samt, das alte Gold, die goldenen Scharen – und alles glänzte klar und scharf umrissen an diesem Januarmorgen.
Wiederum tausende erwarteten uns auf dem weiten Feld – die deutschen Händler vom Stahlhof an der Ostseite, die funkelnden Blicks zu ihren Rivalen hinüberschauten, den Kaufleuten aus Genua, Florenz, Venedig und Spanien. Dazwischen unsere eigenen englischen Kaufleute, zusammen an die zwölfhundert Männer.
Und von Shooter’s Hill herunter kam Anna von Kleve in einem geschnitzten, vergoldeten Wagen, gezogen von Pferden mit Schabracken aus schwarzem Samt. Wie Diana mit dem Hengstgespann …
So sagte ich mir, und so schrieben es die vornehmen Chronisten nieder. In den Pergamenten des Königreichs begegnete Diana, keusch und schön und athletisch, dem Jupiter, mächtig und wollüstig und gütig. Man kann nachlesen, wie prachtvoll es war, wie die Erde bei unserem Zusammentreffen erbebte und wie das ganze Reich frohlockte. Und an diesem Tage glaubten wir es alle wirklich, ich ebenso wie alle anderen – und so wird Geschichte gemacht, so wird sie gebannt wie Früchte, die man lange über ihre Zeit hinaus in Wein bewahrt.
Seite an Seite ritten Lady Anna und ich den Hügel hinunter und quer über Blackheath, und alle meine Untertanen jubelten. Auf der Themse (die nicht zugefroren war) drängten sich Boote mit seidenen Segeln und Fahnen und schossen Feuerwerk in die Luft.
Das war die öffentliche Seite. Aber als wir im Palast zu Greenwich angekommen waren, als die Wagen fortgerollt, die schwarzen Samtschabracken von den Pferden genommen worden waren – da war ich wieder nur ich selbst, ein rebellischer kleiner Junge in einer prachtvollen, fest bestimmten Struktur. Ich sträubte und wehrte mich. Wiederum wollte ich das Begonnene nicht zu Ende führen. Mein heiligmäßiger Vorsatz, mit dem ich den Tag begonnen hatte, hielt nicht bis Sonnenuntergang. Ich rief Cromwell und den Geheimen Staatsrat zu mir, wehrte mich, wimmerte, klagte. »Wäre nicht mein Königreich und der Umstand, dass ich in dieser Sache nun schon so weit gegangen bin, ich würde für nichts auf der Welt tun, was ich morgen tun muss.«
Ich fiel ins Bett, beschämt über meine Schwäche. Ich war eben kein Heiliger, auch wenn ich mich im frühen Morgengrauen wie einer gefühlt hatte. Wirkliche Heilige blieben den ganzen Tag heilig, durch Höhen und Tiefen des wirklichen Wetters, wirklicher Menschen, wirklicher Pein – nicht nur in den geisterhaften Schwaden eines traumerfüllten Morgengrauens. Und sie ließen sich nicht nörgelnd und enttäuscht von sich selbst ins Bett fallen. Sie waren nicht von Zorn und Aufsässigkeit erfüllt.
Aber ich wollte Lady Anna nicht heiraten, weder jetzt noch jemals. Sie hatte einen wunderschönen Wagen, aber es war nicht der Wagen, mit dem ich das Lager teilen sollte. Der Wagen wäre mir allemal lieber gewesen – jawohl, lieber hätte ich meine Bettpelze über seine Räder gebreitet, lieber als über seine Herrin.
Aber es musste sein. Die Hochzeitsfeier sollte früh am nächsten Morgen stattfinden, um acht Uhr. Ich hatte sie auf einen frühen Zeitpunkt angesetzt, als hätte ich es dann auch früh hinter mir – und als wäre es nicht erst der Anfang.
Während ich so in meinem Bett lag und mich schalt, weil ich kein Heiliger war, wurden meine Gedanken realistischer und pragmatischer. Ich würde eine arrangierte Ehe eingehen. So etwas hatte es immer schon gegeben. (War die Ehe zwischen Adam und Eva nicht »arrangiert« gewesen?) Gewöhnliche Menschen hatten das Vergnügen, sich ihre Lebensgefährten selbst auswählen zu können, aber als König war man eine Figur in seinem eigenen Schachspiel. Ich konnte von Glück sagen, dass ich zweimal unter meinen Untertanen hatte wählen dürfen – aus Liebe, wie ein gewöhnlicher Mann. Aber das war jetzt Vergangenheit, wie meine Jugend Vergangenheit war, und ich sollte mich glücklich
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