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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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besetztes Krönchen aus feinem Golddraht – alles nach der neuesten Mode. Das Turnier veranlasste sie zu überschäumender Begeisterung.
    »In Kleve haben wir so etwas nicht«, erklärte sie, die fremden Worte sorgfältig betonend.
    Nein, vermutlich nicht. Was für ein unausstehlich langweiliger Ort das Herzogtum Kleve sein musste! Armes Ding – nach England zu reisen und dort als Königin bejubelt zu werden, musste das außergewöhnlichste Erlebnis in ihrem höchst gewöhnlichen Leben gewesen sein. Nun, mochte sie es nur genießen, solange sie konnte; diese lächerliche Charade würde nur noch wenige Monate Bestand haben, bis nämlich zwischen Karl und Franz der unvermeidliche Streit ausbräche.
    Die Fanfaren ertönten; sie schallten unnatürlich klar durch die Kälte. (Wie kommt es, dass Farben und Klänge in der Kälte immer viel intensiver wirken?) Ich erhob mich und gab das Zeichen, zu beginnen. Die Blüte Englands, stattliche junge Männer, kam hervorgeritten, um uns zu unterhalten, die alternden Beschützer Englands.
    Ich warf einen Blick hinüber zu Brandon, der zurückgelehnt in seinem orientalischen Ledersessel saß. In letzter Zeit hatte er sich die Gewohnheiten eines Sultans zugelegt; er behauptete, seine alten Knochen fühlten sich in persischen Polstersitzen wohler, und das Rauchen der übel riechenden Wasserpfeife hebe seine Laune. Jetzt beobachtete er die Wettkämpfe mit halb geschlossenen Augen. Er war nicht unähnlich einem Ochsenfrosch auf einem großen Seerosenblatt; aber ich sah sein Gesicht noch vor mir, wild hinter dem Visier, als er mich 1524 im Turnier beinahe getötet hätte …
    »Wir könnten’s denen zeigen, wie?« Ich berührte seine Schulter. Er gab keine Antwort. Entweder hörte er nicht mehr gut oder er war in Gedanken verloren. Unwichtig. Neben ihm wies Crum mit einer Gebärde des Abscheus auf seine Wasserpfeife.
    Ob ich wollte oder nicht, ich musste zur Kenntnis nehmen, dass wir anscheinend in zwei Gruppen aufgeteilt waren: Alte Männer und junge Frauen, und die Letzteren schauten zu, wie die jungen Männer sich auf dem Kampfplatz schlugen.
    Auf Annas Seite der Loge hatten sich ihre frisch ernannten Kammerzofen und Hofdamen ausgebreitet. Ich beobachtete sie, gewissermaßen intellektuell fasziniert von ihrer Jugend – das bildete ich mir wenigstens ein.
    Ein weißes Flattern: Spitze wurde geschwenkt, ein Taschentuch … das Taschentuch an jenem Tag, jenem schwarzen/weißen Tag im Mai, da Anne ihr Taschentuch für Norris hatte fallen lassen … Ich hatte nicht gewusst, dass der Schmerz derart unversehrt erhalten bleiben kann, als habe er ein eigenes Leben; aber jetzt durchfuhr er mich und ließ mich schwach und krank zurück.
    Wieder bewegte sich das Taschentuch, ein Stückchen Stoff mit Spitze, ein wirkliches Ding, kein Gespenst. Es war in der Hand jenes ätherischen Geschöpfes in Rosa, das ich bei Tisch gesehen hatte. Das Mädchen winkte Culpepper zu, der eben ein Stück Satin mit ihren Farben an seinem Ärmel befestigte. Aber sie liebte ihn nicht; das sah ich an der Art, wie ihre Blicke umherschweiften und sie fröhlich mit ihren Gefährtinnen schwatzte. Als er einmal nicht herschaute, zerknüllte sie ihr Taschentuch und drückte es in der Hand zusammen. Und als Culpepper fiel, bemerkte sie es kaum.
    Sie hob eine rundliche kleine Hand an ihren Busen, und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Dies war das Mädchen, für welches Culpepper sich den Samt erbeten hatte und das er hatte verführen wollen.
    Offensichtlich war es ihm nicht gelungen. Keine Jungfer hätte ihren Verführer so unaufmerksam beobachtet, wie dieses – wie hieß sie gleich? –, dieses Howard-Mädchen Culpepper beobachtete. Man trug ihn jetzt vom Platz, und im Schnee unter ihm waren hellrote Flecken zu sehen, aber Fräulein Braunlocke tuschelte kichernd mit einer anderen Dame.
    Sie streckte ihre in leichten Schuhen steckenden Füße gegen das Kohlenbecken, um sie zu wärmen, berührte das glühend heiße Metall und zog sie gerade noch zur rechten Zeit zurück. Es war ein gefährliches Spiel – und richtig, nach dem sechsten oder siebenten Mal schrie sie schmerzlich auf.
    Ich lief zu ihr hinunter und zog ihr den Schuh aus. Ihr Fuß war so winzig und warm wie der eines Kindes. Ich hatte vergessen, dass es eine Zeit im Leben gibt, da man rundliche, rosige Füße hat. Ich hatte das Gefühl, die meinen waren hart, schwielig und kalt, solange ich denken konnte. Aber dieser Fuß war … saftig. Es gab kein

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