Ich, Heinrich VIII.
meines Bewusstseins spürte ich Gefahr. Ihr Erbgut war schlecht, ihre Erziehung erbärmlich. Blut und Bildung lassen sich niemals verleugnen. Aber in einem anderen Winkel erhob sich Entrüstung. Mit solchen Maßstäben betrachtet, gälte selbst Unser Herr nichts.
Ihre Augen waren unschuldig. Sie sagten mir alles, was ich wissen wollte. (Was war aus meiner Einsicht geworden, dass jedermann ein abgefeimter Lügner sei? Untergegangen, zusammen mit all den übrigen schmerzhaft erworbenen Einsichten und Erfahrungen, untergegangen im Strudel der Liebe.)
»Habt Ihr sie schon besessen?«
Er lachte leise. »Nein, Ich warte noch auf den richtigen Augenblick.«
Mein Achselzucken verriet nicht, welche Erleichterung mich durchströmte. Sie war unberührt! Anders hätte ich sie auch nicht gewollt; zu wissen, dass ein anderer sie genossen habe, hätte ich nicht ertragen.
Wie Katharina und Anne Boleyn! Andere Männer hatten sie in den Armen gehalten, andere Männer hatten ihnen die Beine gespreizt und ihr Glied in das weiche Fleisch geschoben, hatten es in ihnen hin und her gerieben, einen klebrigen Schleim dort hinterlassen … schmutzig, so schmutzig! Es war so Ekel erregend, so widerlich, sich zu nehmen, was ein anderer übrig gelassen hatte. Kein Mann konnte es tun und dabei ein Mann bleiben.
Die Leute haben sich gefragt, was ich an meiner Jane so liebte. Ihre Reinheit. Zu wissen, dass sie unberührt war, dass kein Mann sie je besudelt hatte.
Bei Catherine Howard musste ich nun rasch etwas unternehmen, damit Culpepper sie nicht beschmutzen konnte, denn dann wollte ich sie nicht mehr. Nein, wenn ich wüsste, dass ein anderer sich auf ihr und in ihr vergnügt hatte, würde sie das in meinen Augen krank machen. Ich musste der Erste sein, der Einzige.
»Wir müssen eine Gemahlin für Euch finden«, sagte ich zu Culpepper.
Er lachte. »Lieber habe ich Geliebte.«
»Nein«, beharrte ich. »Ihr braucht eine Gemahlin, auf die Ihr Eure Energien verwenden könnt. Haltet Euch fern von Mistress Howard. Ihre Mitgift ist ihre Jungfräulichkeit. Raubt sie ihr nicht.«
Er zuckte die Achseln. »Es sei, wie Ihr befehlt. Ich bin froh, dass ich kein Weib bin und mit meiner Tugend Handel treiben muss.«
Tugend. Reinheit. Sittsamkeit. Keuschheit. Alle Männer spotten ihrer und schmähen sie. Und alle Männer erstarren in Ehrfurcht, wenn sie sie sehen.
Am nächsten Morgen, als ich mich, vorgeblich um ihrem Englischunterricht zu lauschen, in Annas Studierzimmer begab, schaute ich aufmerksam umher; ich hoffte, Catherine Howard zu sehen. Als Ehrenjungfer hatte sie alltägliche Aufgaben: Sie musste Kämme aussuchen, Kleider ausbürsten und nach Läusen absuchen, Schmuck putzen und bereitlegen. Es waren die höherrangigen Kammerfrauen, die die Königin bei zeremoniellen Anlässen bedienten. Folglich musste ich mich in Annas Gemächer begeben, wenn ich Mistress Catherine finden wollte.
Anna jedoch war allein mit ihrem Lehrer, diesem stammelnden Jüngling, der nichtsdestominder ein Genie zu sein schien, wo es darum ging, jemanden im Handumdrehen in unserer Sprache zu unterweisen.
»An … dem …«
»Auf dem …«
»Auf … dem … Markt gibt es Äpfel, Birnen, Käse und …«
»Und …«
»… Rüben.«
Sie krähten fröhlich vor Lachen. Es gefiel mir, Annas Entzücken zu hören. Ohne den Schatten meiner Gegenwart schien sie mir ein frohgemuter Mensch zu sein, ganz und gar im Gegensatz zu ihrer bleischweren Erscheinung.
»Sehr gut, mein Herz«, sagte ich und trat schlendernd ins Zimmer. Ihr Lachen brach ab. Das kränkte mich.
»Aber, aber«, schalt ich. »Lasst Euch von mir nicht stören. Was gibt es sonst noch auf dem Markt? Ein fettes Schwein vielleicht?«
Aber sie fuhren in ihrem Unterricht nicht fort. Ich war enttäuscht, sowohl in meiner ursprünglichen Absicht, Mistress Catherine zu sehen, als auch – unerklärlicherweise – weil ich Anna gestört hatte und ausgeschlossen worden war, und so kehrte ich zurück in meine eigenen Gemächer. Dies war ein Augenblick, da ich zu gern ein Pferd gesattelt hätte, auf die Jagd gegangen wäre und den Palast und all meine Gefühle hinter mir gelassen hätte. Aber ich konnte nicht mehr reiten. In letzter Zeit tat mein Beingeschwür, wenn es sich am Sattel rieb, so weh, dass ich es nicht mehr ertragen konnte. Schmollend lungerte ich an diesem trüben Tag im Februar in meinen Gemächern herum, und schließlich rief ich nach einem der wenigen Vergnügen, die mir noch geblieben waren:
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