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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Will.
    Will tat immer noch seine Wirkung, wenn der Wein versagte und alle Gesellschaft mir schal wurde. Beinahe unmerklich war aus dem Unterhalter meiner einsamen Stunden, witzig und voll von schlüpfrigem Tratsch, ein Zuhörer und weiser Kommentator geworden – vor allem nachdem Jane gestorben war und ich Narren in meiner Umgebung einfach nicht mehr hatte ertragen können. Wirkliche Narren, meine ich – nicht berufsmäßige Possenreißer. Narren, die salbungsvolle Plattitüden gemurmelt hatten – »Die Zeit heilt alle Wunden« und »Im Himmel werdet Ihr sie wiedersehen« und »Sie würde nicht wollen, dass Ihr allzu sehr trauert«.
    Will allein war ehrlich und mutig genug, zu sagen: »Ich weiß, du würdest den Rest deines Lebens dafür geben, wenn du noch einmal ein Viertelstündchen lang mit ihr über die trivialsten Dinge reden könntest.«
    Darauf konnte ich antworten: »Ja.«
    Ich fühlte mich jetzt mehr und mehr auf ihn angewiesen, sosehr ich mich auch ermahnte, dass es nicht sein dürfe, denn so viel Vertrauen, so viel Abhängigkeit von einem einzelnen Menschen forderte das Schicksal über Gebühr heraus. Ich brauchte nur an Wolsey zu denken, an More und an Jane selbst.
    Er stand vor mir in meinem Arbeitszimmer, alltäglich gekleidet. Seine Schellenkappe trug er nur noch selten, denn dieses Kostüm verletzte ihn in seiner Empfindsamkeit und war nur erforderlich, wenn er öffentlich auftrat. Vor mir allein, um elf Uhr vormittags, wäre es absurd gewesen.
    »Will«, murmelte ich, »ich bin ganz und gar ratlos und verloren.«
    Seine flinken, dunklen Augen schauten mich forschend an. »Nein, Hal« – er beliebte mich Hal zu nennen, wie es niemand sonst je tat –, »du langweilst dich. Nenne es bei seinem richtigen Namen.«
    »Was ist denn Langeweile? Definiere es für mich.« Schon war die Langeweile verflogen, vertrieben von Wills magischer Hand.
    »Langeweile ist jener furchtbare Zustand der Untätigkeit, in welchem just die Medizin, die ihn beheben könnte – Tätigkeit nämlich –, als abscheulich empfunden wird. Bogenschießen? Dazu ist es zu kalt, und außerdem müssen die Zielscheiben neu bezogen werden; die Ratten haben am Stroh genagt. Musik? Sie zu hören, ist öde, sie zu schreiben, strapaziös. Und so weiter. Von allen Leiden ist die Langeweile am Ende das, welches dem Manne am nachhaltigsten die Kraft nimmt. Sie verwandelt ihn schließlich in ein großes Nichts, das nichts mehr tut. Sie ist eine Cousine der Faulheit und eine Schwester der Melancholie.«
    »Wie du es sagst, klingt es romantisch und unheilvoll.«
    Er zuckte die Achseln. »Kann sein. Das Seltsame ist, dass dieses Leiden so leicht zu kurieren ist. Man braucht sich nur zu zwingen, die ›langweiligen‹ Tätigkeiten zu vollziehen, und schon verflüchtigt sich der Zustand selbst. Das körperliche Tun hat etwas an sich, das die Langeweile vertreibt. Aber wenn sie einmal eingesetzt hat und einen Menschen in ihren Klauen hat, dann ist er meist zu entkräftet, sie noch in die Flucht zu schlagen, und sei es auch mit dem einfachen Mittel, einen Fuß vor den anderen zu setzen.«
    »Will, ich bin in der Tat entkräftet. Aber nicht durch Langeweile. Will, ich bin – verliebt!«
    Er nahm mein erstaunliches Geständnis gelassen hin. »Das ist natürlich das sicherste Mittel gegen Langeweile. Kurzfristig versagt es nie. Es hat allerdings den Nachteil, dass es langfristig immer versagt. Nun – du bist gewarnt. Wer ist es?« Er sagte nicht »diesmal«. Er ließ seine Stimme nicht sarkastisch schleifen. Er fragte nur, strahlend, freundlich.
    »Ein Mädchen, das an den Hof gekommen ist.«
    »Nun, ich dachte nicht, dass du sie auf einem Acker kennen gelernt hast. Wo sonst könntest du jemandem begegnen, wenn nicht am Hofe? Deine Möglichkeiten sind da in Wahrheit einigermaßen begrenzt. Vermutlich ist dir das gar nicht klar.«
    »Sie ist jung und unverdorben und frisch. Eine Rose ohne Dornen!«
    »Und namenlos. Ich verstehe. Ausgestattet mit all den üblichen liebeserzeugenden Mechanismen, mit denen sich bei einem angeödeten alten Wüstling wie dir die Sehnsucht entfachen lässt. Es ist immer ›ein junges Mädchen‹. O Hal, wie langweilig!«
    »Wie kannst du das sagen?«
    »Berechenbarkeit ist langweilig. Hast du je am Dreikönigsfest ein Schauspiel angesehen, eines über Amor und Psyche, und in den ersten paar Augenblicken begriffen, dass du dir nun sämtliche Prüfungen wirst ansehen müssen, die Venus für sie bereithält: Die Trennung von

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