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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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damit endgültig etwas töten, das irgendwo in mir noch lebendig war.
    »Ich werde es Euch hier lassen«, sagte Cromwell schließlich und legte es entschlossen oben auf einen Stapel von weniger wichtigen Papieren, denen ich mich zu widmen hatte – Pachtangelegenheiten in Kent, Transportvorschriften für Wein aus Alicante und dergleichen mehr.
    Als ich allein war, las ich das erste Dokument noch einmal gründlich. Es erläuterte, bündig und vernünftig, weshalb die Ehe mit Anna keine Ehe war. Es umriss die Privilegien, die Anna zuteil werden würden, wäre sie »des Königs allerliebste Schwester«. Sie würde über allen Frauen des Reiches stehen – mit Ausnahme der Königin (auf die nicht weiter eingegangen wurde) und meiner Töchter. Sie würde eine umfangreiche Apanage erhalten, etwa fünftausend Pfund im Jahr, sowie zwei königliche Schlösser, nämlich Richmond und Bletchingly.
    Im Gegenzug brauchte sie lediglich durch ihre Unterschrift zu bestätigen, dass wir uns in dieser Sache einig seien. Dann müsste sie ihrem Bruder schreiben, um der Möglichkeit zuvorzukommen, dass ihm etwa beifiele, »die Ehre seiner Schwester zu rächen«. Sie müsste ihm versichern, dass ihre Ehre in keiner Weise bedroht sei und dass zwischen ihr und mir in dieser Angelegenheit vollkommene Harmonie herrsche.
    Ein Umschlag mit einer knappen Bemerkung von Cromwell war dem Dokument beigefügt: »Es wird zweifellos notwendig sein, dass Eure Majestät in dieser Angelegenheit persönlich mit einigen ausgewählten Mitgliedern des Hofstaates und Gesandten des Auslandes sprechen, nämlich etwa folgendermaßen: ›Die Ehe zwischen der Prinzessin von Kleve und mir wurde niemals vollzogen, da es unser beider innerste Überzeugung war, dass dies keine wahre Ehe sei. Der Heilige Geist, der Geist der Wahrheit und der Weisheit, hat uns dies unmissverständlich kundgetan, und wir haben Ihm gehorcht.‹«
    Sauber und unbestimmt und obenhin. Aber wenn nun Fragen gestellt würden? Musste ein König seine persönlichsten Dinge in dieser Weise öffentlich bekannt machen? Wie viel würden die Leute von mir fordern, und wie viel würde ich beantworten müssen?
    Ich merkte, dass ich das Dokument nicht unterschreiben konnte. Ich würde die Angelegenheit am nächsten Morgen eingehender mit Cromwell besprechen müssen.

XCI
    I n dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Und als ich in meinem Arbeitszimmer auf und ab ging (um den schlafenden Culpepper nicht zu stören), sah ich, dass in Cromwells Gemächern ebenfalls noch Licht brannte. Er stand in dem Ruf, niemals zu schlafen, und jetzt sah ich das Gerücht bestätigt. Die große astronomische Uhr am Torhaus schlug drei, als ich über den Hof zu seinen Gemächern ging.
    Ich stieß seine Tür auf und sah, dass der vorderste Empfangsraum leer und dunkel war. Das Licht brannte weiter hinten. Ich ging darauf zu wie ein Insekt, das von einer Fackel angezogen wird.
    Drinnen ertönte ein Geräusch. Cromwell hatte mich gehört.
    »Wer ist da?«, fragte er mit zitternder Stimme; es klang ganz anders als sonst. »Wer ist da?«
    »Der König.«
    Ich hörte hastiges Rascheln, und dann erschien ein wild dreinblickender Cromwell in seidenem Nachtgewand.
    »Ich habe gesehen, dass Ihr noch auf seid«, murmelte ich, »und ich würde gern noch einmal mit Euch über die ›Erklärung‹ reden, die ich abgeben muss, wie Ihr sagt; ich möchte es tun, ehe andere wach sind und uns belauschen können.«
    »Natürlich.« Seine Blicke huschten nervös umher. »Natürlich.« Er wies hinter sich zu seinem Arbeitszimmer, und ich trat ein.
    Zwei Kerzen brannten auf seinem Arbeitstisch. Es war eine große, flache Platte, gefertigt aus der Tür eines der aufgelösten Klöster, die nun auf zwei geschnitzten Kapitellen ruhte. Offenbar bereitete es ihm frohe Genugtuung, sozusagen auf dem Leichnam des Mönchstums zu arbeiten.
    »Woher stammen diese Dinge?«, erkundigte ich mich – nicht zuletzt, um Zeit zu gewinnen. Ich wollte Gelegenheit haben, mich im Zimmer umzuschauen und feststellen, womit er sich umgab. Ich wollte endlich wissen, was Cromwell war.
    »Aus St. Marien, Euer Gnaden. Das erste Kloster, das wir auflösten.« Mit zärtlichem Blick betrachtete er seine Beute.
    Ich nickte. »Von sentimentalem Wert also.«
    Drüben in der hinteren Ecke sah ich einen Stapel Bücher. Was für Bücher? Es war schade, dass die Ketzerei nicht die sichtbaren Requisiten des Papismus benötigte. Keine Statuen, keine Rosenkränze, keine heiligen Hostien. Nur

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