Ich, Heinrich VIII.
Wünsche!« Ich streckte den Arm aus, umfing sie, zog sie heran, drückte sie an mich.
Ja, Wünsche. Sehnsüchte. Ich wusste, sie musste von ihnen pulsieren. Obgleich ihre ganze Haltung anmutig und jungfernhaft war, spürte ich doch irgendwie – vielleicht lag es an ihren runden Fingern, die unerwartet feucht waren, oder daran, wie der Schweiß eine kleine Vogelschwinge zwischen ihren Schulterblättern erscheinen ließ, wenn sie nur ein kleines Stück weit gegangen war –, dass sie ein Geschöpf der Leidenschaft war. Ich brauchte sie nur zu erwecken. Und ich würde es tun, ich würde es tun … Bevor die Michaelisgans geschlachtet würde, bei Gott, würde ich sie in Leidenschaft aufschäumen lassen, wie ein rauer Wind das Meer in Gischt verwandelt.
»Aye.« Sie strich mit flachen Händen das enge Mieder glatt. Der Satin ordnete sich in glänzenden Falten rund um ihre Brüste und hob sie noch hervor. O eisblauer Satin! Wie kannst du solche Leidenschaft verheißen? »Wünsche, die hoffentlich Huld und Gnade vor Euren Augen finden werden, Eure Majestät.«
»Gnade? Nein, Gnade werde ich dir nicht gewähren!« Ich lachte. Keine Gnade, bis ich gesättigt auf durchtränktem Laken ruhte. Keine Gnade, bis das Tageslicht unsere Kammer besudelte. Schmutziger Tag! Mit seinem hässlichen, neugierigen Auge und seinen säuberlichen Einteilungen.
»Komm heute Abend zu mir in mein Schlafgemach«, flüsterte ich ihr ins Ohr.
Ich fühlte, wie Muskeln sich spannten und Widerstand sie durchströmte. »Nein. Nein!«
So. Sie war entschlossen, ihre Tugend zu bewahren, und würde ihr Schloss nur dem Schlüssel des Trauungsritus öffnen. So sollte es sein. Denn den sollte sie bekommen, und zwar schleunigst.
Doch, ach!, wie sollte ich diese Nacht überstehen? Es war, als sei ich erst neunzehn und sie neunundvierzig. In ihrer Keuschheit war sie eins mit dem ältesten Weib im entlegensten Schottland. Unerwacht und aufgebraucht sind hier das Gleiche.
»Ich werde stundenlang stöhnen«, sagte ich und stöhnte schon halb.
»So möchte ich kein Mann sein.« Sie lächelte.
Auch Weiber stöhnen vor Verlangen, dachte ich. Du wirst schon sehen.
Aber ich lächelte. »Gute Nacht, mein Herz.« Ohne es zu bemerken, gebrauchte ich den gleichen Abschiedsgruß, mit dem ich Anna jeden Abend verließ. Was sonst hätte man zu einer unberührten Braut sagen können?
Auch Cromwell erhielt seine Anweisungen.
»Ihr habt eine Erklärung für die Prinzessin von Kleve aufgesetzt, die sie unterzeichnen soll?«, fragte ich ihn.
»Ja, Eure Majestät. Es ist alles hier niedergelegt; ich habe mich bemüht, Eure Wünsche zu erfüllen.« Er legte mir ein kurzes Dokument vor.
»Wenn hier stände, welches der wahre Grund ist, wäre es noch kürzer.« Auf dem Pergament stand es, stand irgendetwas – was zählte das, solange das Spiel endlich beendet wurde? Ich legte es aus der Hand.
»Da ist noch eine Sache, Eure Majestät«, sagte Cromwell beglückt. »Es geht um Geld.« Er sah aus, als erwarte er, dass ich zu sabbern anfinge. Hielt man mich also für so schlicht? Und für so gierig?
»Bei der Auflösung der Klöster haben wir einen Orden übersehen. Die Ritter des hl. Johannes von Jerusalem.«
Ah, ja. Der militante Mönchsorden, der Schwertarm Christi. Eigentlich war er gegründet worden, um wehrlose Jerusalempilger zu schützen. Die Johanniter hatten gegen die Ungläubigen gekämpft und überall an den Pilgerstraßen Hospize errichtet. Wie es immer geschieht, waren sie durch ihre Tüchtigkeit und den Umstand, dass sie einen Bedarf befriedigten, wo sonst niemand zu Diensten war, erst zu Macht und dann zu Reichtum gelangt. Inzwischen hatte der Orden Ländereien und Privilegien in ganz Europa. Aber sie waren wirkliche Ritter im reinsten Sinne des Wortes. Und ihr Name stand für Kraft, Ehrlichkeit und Mitleid.
»… zu einem Gewinn von zehntausend Pfund«, sagte Cromwell eben.
»Aber wer soll ihren Platz einnehmen?«
Er lächelte verschmitzt. »Niemand. Denn sie werden heutzutage nicht mehr gebraucht.«
»Mildtätigkeit und Schutz werden nicht mehr gebraucht?«
»Nicht auf dem Wege nach Jerusalem. Vielleicht in anderer Form an anderen Orten.«
»Aber nicht als formelle Organisation?«
»Die Ritter waren anfangs keine formelle Organisation. Sie entsprangen aus dem Mut und der Mildherzigkeit eines Mannes. Heute wird es andere Visionäre geben, die sehen, was nötig ist.«
Ich seufzte. Es widerstrebte mir, das Dokument zu unterzeichnen, als würde ich
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