Ich, Heinrich VIII.
die Bosheit in den Herzen.
»Aye.« Jetzt hatte er sich gefasst, und er war bereit, sich einer genauen Musterung zu unterziehen. »Euer Gnaden hatten etwas auf dem Herzen?«
»Die »Erklärung« hinsichtlich der Prinzessin von Kleve. Etwas in mir sträubt sich, sie zu unterzeichnen.«
»In welchem Punkt verstößt sie gegen Euer Empfinden? Ich kann Abhilfe …«
»Ich weiß es nicht genau. Aber mein Gewissen ist beunruhigt.« Was mein Gewissen in Wahrheit beunruhigte, war die Tatsache, dass ich eine brave Frau verstieß, nur weil sie mich nicht zu erregen vermochte.
»Es muss ja nicht geschehen!«, sagte er erfreut. »Vielleicht wollen Euch diese Gewissensbisse einen anderen, einen rechtschaffeneren Weg weisen!«
Jede Möglichkeit, dass sein Werk doch noch erhalten bleiben könnte, versetzte ihn in Hochstimmung. Aber das durfte nicht sein.
»Nein. Es muss geschehen. Es ist notwendig für das Reich, dass ich eine richtige Königin und vielleicht noch weitere Erben habe. Es würde auch für Edward tröstlich sein, diese Bürde nicht allein tragen zu müssen.«
Cromwell nickte, wie er es musste; er fragte sich, ob eine neue Königin auf dem Thron wieder all die Verbindungen verkörpern würde, die er zu vernichten getrachtet hatte.
Ich drehte mich rasch um und wandte mich den Pergamenten zu, die auf seinem Arbeitstisch ausgebreitet waren. Sie waren unschuldig genug, oder sie wirkten doch so. Wissen konnte man es nie. Sie konnten verschlüsselte Mitteilungen enthalten; er hatte Chiffren erfunden, das wusste ich. Um seine Pläne zu verbergen?
Ich ließ meinen Blick suchend durch das Gemach streifen. Das Licht war so schlecht, dass es schwierig war, in den hinteren Ecken etwas zu sehen. Ich glaubte ein Regal zu erkennen, das mit seltsam geformten Gefäßen gefüllt war. Unvermittelt ging ich darauf zu, und eine Kerze nahm ich mit. Hinter mir hörte ich Cromwell, der mir bang folgte.
Ja, es war eine Reihe von Krügen und Flaschen und kleinen Schachteln. Einige davon waren offenbar sehr alt; ich sah es am wurmstichigen Holz.
»Was ist das für Zeug?«, fragte ich und nahm einen der Behälter, einen runden Krug mit einem Klappdeckel. Darin befand sich eine Art Salbe. Ich strich mit dem Finger darüber. Sie roch widerlich, wie ein verwesendes Tier.
»Ich habe gefragt, was in diesen Behältern ist?«, wiederholte ich. Wie konnte er es wagen, nicht unverzüglich zu antworten?
»Ich – es ist – Medizin, die in den Krankenstuben der Klöster beschlagnahmt wurde«, erklärte er schließlich. »Was Ihr da in der Hand haltet – damit hat man Herzschwächen behandelt … Ihr erinnert Euch … wie sie Carew befiel, damals, in der Höhle …«
Carew. Ja. Leider hatte sein Herz das Schlagen schließlich vollends eingestellt, aber wegen seines Verrats, nicht wegen seiner Krankheit. Aber andere, die von dem gleichen Leiden geplagt wurden …?
»Ist es wirksam?«
»Allerdings! Es hat vielen das Leben gerettet; die Mönche in jener Abtei waren berühmt für dieses spezielle Heilmittel.«
»Warum habt Ihr es dann nicht unseren Ärzten zugänglich gemacht?«
»Die Mönche – es würde ein gutes Licht auf sie werfen, wenn bekannt würde, dass sie solche Heilmittel erfunden haben. Nein, ich ziehe es vor …«
»Ihr zieht es vor, diese Heilmittel hier zu horten! Ihr zieht es vor, dass die Menschen sterben, statt gut über die Mönche zu denken!«
»Es ist notwendig, die Mönche in Verruf zu bringen!«, beharrte er.
Die Uhr draußen schlug die halbe Stunde. Unter dem Vorwand, ihrem Schlagen zu lauschen, trat ich an die Fensterbank, auf der sich die geheimnisvollen Bücher türmten.
»Ah ja«, murmelte ich und öffnete das Fenster. Ich streckte den Kopf hinaus, legte ganz natürlich die linke Hand auf das Fenstersims und die rechte – »Hallo, was ist das?« Der Stapel kippte, von meiner Hand gestoßen, polternd um.
Einen Fluch verschluckend stürzte Crum herbei und sammelte die Bücher auf. Jäh erhob sich ein Speien und Fauchen unter der Fensterbank und wurde sogleich zu einer wütenden Katze. Einer schwarzen Katze. Das Tier funkelte mich mit dämonischen Augen an; sie waren rot vom Kerzenschimmer, schienen aber von einem eigenen Licht erfüllt zu sein, einem unirdischen Glühen. Ich fühlte, wie es mich heiß und kalt überlief.
Dennoch zwang ich mich, eines der Bücher vom Stapel zu nehmen. Gelassen schlug ich es auf.
Thomas Münzers Briefe, herausgegeben von Luther. Münzer, der Rebell und Wiedertäufer, der die
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