Ich, Heinrich VIII.
offene Revolte gegen die Fürsten gepredigt und 1525 in Deutschland den Bauernaufstand angeführt hatte! Ein ketzerisches Buch – und zwar eines der schlimmsten, die es gab.
Ich warf es hin und nahm ein anderes. Melanchthons Abhandlung, in der er mich als Nero schmähte und den Wunsch äußerte, Gott möge einem kühnen Manne eingeben, mich zu ermorden. Es war in Zürich gedruckt und nach England geschmuggelt worden.
»Crum«, flüsterte ich.
»Sie sind allesamt bei bekannten Häretikern beschlagnahmt worden, Euer Gnaden, und sollen bei ihren Prozessen als Beweismittel verwendet werden«, erklärte er mit geschmeidigem Behagen. »Eure eigene Reaktion zeigt deutlich, wie überaus verdammungswürdig sie sind. Jeder, der solchen Schmutz besitzt, muss zwangsläufig ein Häretiker sein. Ist es nicht so?«
»Sie besudeln Euer Gemach, Cromwell – so nah bei Eurer Person«, sagte ich schließlich.
Das hier waren keine »häretischen« Texte wie die Standardschriften von Zwingli, Calvin und Luther. Es waren Aufrufe zur Revolution, geschrieben von Männern, die vom Teufel besessen waren. Niemand würde solche Anleitungen zum Aufstand besitzen, der nicht selbst einen Aufstand plante.
Er zuckte die Achseln. »Leider muss ich sie ständig im Auge behalten und bewachen. Könnt Ihr Euch nicht denken, wie schnell sie sonst verschwinden würden?« Er lachte; es war ein Lachen ohne Heiterkeit. »Es wäre das Leben eines Menschen wert, dieses Beweismaterial zu vernichten. Und einem, der um sein Leben kämpft, verleiht der Böse selbst seine Kraft.«
Oder er verhilft ihm zu gerissenen Antworten, dachte ich. Satan beschützt die seinen.
Ich wusste jetzt, was ich wissen musste. Ich sandte ein stummes Dankgebet an Christus für dieses Zeichen und dafür, dass er mir die Augen geöffnet hatte. Aber, oh!, mein Herz war schwer, als ich Cromwell gute Nacht sagte. Wie wünschte ich mir, er hätte sich nicht als das erwiesen, was er in Wahrheit war: der fähigste Minister, der einem König geschenkt ward – verführt und verdorben durch Ketzerei und die Gier nach Macht.
Die wenigen Stunden bis zum Morgengrauen verbrachte ich in einem sonderbaren Bewusstseinszustand, während ich wartete, dass die Dunkelheit im Zimmer sich in einen blauen Nebel verwandelte. Endlich regte sich Geraschel im äußeren Gemach: Wasser wurde erwärmt, Kleider wurden herausgelegt und gebürstet, Männer streckten sich.
Ich schwang die Beine über die Bettkante und spielte die Rolle des Schlaftrunkenen, der sich zum Aufstehen zwingt. Ich seufzte und brummte und rieb mir die Augen – und fuhr zurück. Der Geruch der beschlagnahmten Klostersalbe klebte immer noch an meinen Händen, als sei er lebendig.
»Wasser!«, rief ich. »Wasser!«
Der Kammerdiener erschien mit einem silbernen Krug voll heißen Wassers und einem Klumpen fetter Kräuterseife. So erpicht war ich darauf, mich von der Besudelung durch Cromwells Rachsucht zu reinigen, dass ich das Ritual meiner morgendlichen Waschungen übersprang und die Hände ohne Verzug ins Wasser tauchte und selber heftig schrubbte, statt mich der gewohnten sanften Behandlung mit Nagelhautstäbchen und Schwamm zu unterziehen. Wieder und wieder wusch ich mir die Hände, bis das klare, parfümierte Wasser schaumig wurde und meine Hände wund waren. So, jetzt müssten sie sauber sein! Ich streckte sie aus, um sie mit einer duftenden Lotion benetzen zu lassen.
Für den Vormittag berief ich eine Sitzung des Geheimen Staatsrates ein. Ich wollte ihnen ihre Aufträge geben, mein erniedrigendes »Bekenntnis« ablegen und alles hinter mich bringen. Morgen um diese Zeit, sagte ich mir immer wieder, wäre alles vorüber.
Ich saß allein im Ratssaal und wartete auf sie. Ich war dunkel gewandet, wie es sich für einen nicht eben erfreulichen Anlass geziemte. Brandon und Wyatt sollten Anna die Nachricht überbringen, hatte ich beschlossen. Und was mein schreckliches Eingeständnis anginge – der ganze Staatsrat würde es hören müssen, damit es offiziell und verbindlich wäre.
Der Erste, der eintrat, war William Paget, phlegmatisch, völlig farblos und zuverlässig: der Sekretär des Rates. Er hustete und verbeugte sich tief vor mir; dann nahm er leise Platz und wartete auf die anderen.
Keine drei Minuten später erschien William Petre, ebenfalls farblos und grau gekleidet. Audley und Sadler folgten ihm auf den Fersen. Als sie sich setzten, musste ich unwillkürlich an Zaunkönige und arme Wintervögel denken, die in
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