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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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andeuten?«
    »Natürlich. Es blüht.«
    Sie interessierte sich nicht für den Gartenbau, und so hörte sie auf zu fragen.
    »Morgen nehme ich sie alle mit auf eine große Jagd. Auch die Damen. Richte dich also darauf ein, dass du dich an dem Araberpferd erfreuen wirst, welches die Ritter des hl. Johannes von Jerusalem dir zur Hochzeit geschenkt haben.« Eine letzte, verzweifelte Bitte um Gnade, ehe ich den Orden in England aufgelöst hatte. Ich dachte nicht gern daran.
    »Was werden wir jagen?«
    »Wildschweine.«
    »An St. Thomas? Fürchtest du nicht die Wilde Jagd?«
    Ein Ast knackte und spie rote Funken auf dem Feuerrost.
    »Das ist nur eine Legende«, sagte ich.
    »Auf die Jagd … am kürzesten Tag des Jahres … im Zwielicht …« Sie schien ernstlich beunruhigt zu sein.
    »Was geschieht im Zwielicht?« Vielleicht wusste sie etwas, was ich nicht wusste.
    »Wenn man in die Nähe eines Friedhofes geht, wenn es dämmert … dann kommt der heilige Thomas selbst in einem feurigen Wagen herbeigefahren. Und er ruft alle Toten namens Thomas, die dort begraben sind, und sie erheben sich aus ihren Gräbern und gehen mit ihm zum Friedhofskreuz, das in tiefem Rot erglüht …«
    Während sie so sprach, nahm ihr Gesicht einen unwirklichen Ausdruck an, und es war, als hielte ich eine Seherin in meinen Armen, eine Prophetin. »Und manchmal wird man gezwungen, mit dem Heiligen für alle Zeit auf geisterhafte Jagd zu gehen. Oder mit den anderen Thomassen … Denke doch nur, mein geliebter Lord, an all die Thomasse in deinem Leben, die toten Thomasse … Sie ergreifen Besitz …«
    Angst durchfuhr mich, scharf und kalt wie ein Degen, der in der Januarnacht im Freien gelegen hat. Die toten Thomasse in meinem Leben: Thomas Wolsey, Thomas More, Thomas Cromwell. Was, wenn sie sich nun tatsächlich aus ihren Gräbern erhöben und mir gegenüberträten, von meiner Person Besitz ergriffen, auf irgendeinem entlegenen Friedhof über mich zu Gericht säßen? Wolseys Geist, geschrumpft und gebrochen; More ohne seinen Kopf, schwärend von vorwurfsvoller Selbstgerechtigkeit; Cromwell mit blutendem Halsstumpf, erbittert und von bösartigem Hass erfüllt … und ihre vermoderten Leichentücher wehten im Nebel, umschlangen mich, fingen mich, und –
    »Nein!«, fauchte ich. Just in diesem Augenblick fauchte auch das Feuer und unterstrich meine Gedanken. »Das ist eine Bauernlegende, die mit mir nichts zu tun hat.«
    »Culpepper hat es gesehen«, wisperte sie. »Er hat es mir einmal erzählt.«
    »Er ist auch ein Thomas. Höchstwahrscheinlich hat er es erfunden, um dich zu unterhalten. Und um dich mit seiner Tapferkeit zu beeindrucken. Ich nehme doch an, er ist dem bedrohlichen Griff ihrer Knochenfinger entronnen?«
    Sie wandte sich schmollend ab. »Du glaubst mir nicht. Also gut, dann geh morgen auf die Jagd. Mache dich lustig über den heiligen Thomas und all die anderen Thomasse.«
    O Gott! Erst jetzt, da ich dies niederschreibe, begreife ich: Es war wirklich Thomas, ein sehr lebendiger Thomas, der an diesem Tag seinen Scherz mit mir trieb, während ich auf der Jagd war und mein schönes Weib daheim ließ. Und er kam aus keinem Grab, sondern von seinem Lager am Fuße meines Bettes … und begab sich geradewegs in das Bett meiner Frau. Und während ich atemlos keuchend draußen dahinjagte, keuchte atemlos auch sie, als sie sich mit ihrem Cousin Thomas im königlichen Schlafgemach paarte. Und während ich den Speer in den borstigen Eber stieß, bohrte er sich in mein Weib.
    Oder war die Verabredung bereits getroffen? War ihre verzweifelte Geschichte von den Thomas-Gespenstern ein letzter, kraftloser Versuch, sie abzuwenden, sich das wenige zu bewahren, was von ihrer Tugend noch übrig war? Und hätte ich auf sie gehört, hätte das irgendetwas geändert? Die Jagd war gut …
    Als wir über das Pflaster im Hof trappelten, mit drei Hirschen und einem prächtigen Eber an Tragestangen, beugte sich eine vielköpfige Gesellschaft aus den Fenstern des Innenhofes und jubelte. Weihnachten hatte begonnen.

XCVII
    W enn ich auf die zwölf Tage des Weihnachtsfestes zurückblicke, vermischt sich alles zu einer Wolke von Musik, Farbe und Festlichkeit. Von dem Augenblick, da wir mit dem Eber heimkehrten, bis zum letzten Maskenball waren gewöhnliche Kleider beiseite geworfen, gewöhnliches Benehmen durch erlesene Manieren ersetzt und alle Kargheit verbannt. Feuer brannten vierundzwanzig Stunden am Tag; Kerzen waren nicht rationiert, und die Diener mussten

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