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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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vor einem heiteren Feiertag stattgefunden hatte, denn so war der Hof – und auch ich – an allem gehindert, was wie Trauer hätte aussehen können.
    Deshalb trug ich Rot. Ich öffnete meinen Valentinsbrief; er war von Katherine Parr, Lady Latimer, der Witwe mit den Bibelzitaten. Ich musste mich ihr offenbaren und ihr etwas schenken, wenn dieser Mummenschanz vorüber wäre.
    Jetzt machte der eunuchengleiche Amor seine Runde unter den Frauen; in seinem roten Lendentuch sah er in obszöner Weise lächerlich aus. Jede der Damen nahm einen versiegelten Brief heraus, erbrach das Siegel und las den Namen des ihr zugewiesenen Valentinsschatzes. Welche würde meinen haben? Keine ließ sich etwas anmerken. Wieso hatten Erwachsene solches Vergnügen an so kindischen Spielen?
    Der zweite Gang wurde serviert. Er war ganz in Rottönen gehalten; man hatte alles in getrocknete Rosenblätter, gemahlenes Sandelholz, pulverisiertes Alkanna getaucht oder damit bestrichen, und so hatten wir nun rosarotes Huhn, scharlachroten Fisch, karmesinrotes Brot. Damaskusrote Geleeherzen schwappten auf den Tellern, und es gab granatroten Pudding, zinnoberrote Pastinaken und rubinrote klare Suppe, leuchtend wie der Rubin des Schwarzen Prinzen.
    So viele Schattierungen von Rot, so feine Unterschiede – es war wie in dem großen Rosengarten, wo ich geblendet gesehen hatte, wie viele Arten von Rot die Natur kannte. Ja, und wo ich sofort den Einfall gehabt hatte, eine Rose ohne Dornen zu schaffen, für sie …
    Rot. Rot überall. Ein Eheweib war tot, und wieder war ich in eine Farbe gehüllt wie Joseph in seinen bunten Mantel – nur dass es bei mir eine einzige Farbe war, eine Farbe pro Frau …
    Als Katharina gestorben war, hatte Anne ihren Ball veranstaltet, bei dem alles in Gelb gehalten war. Grelles, freches Gelb – es war unschicklich erschienen, aber die Hexe hatte behauptet, es sei eine Trauerfeier – besser gesagt, es sei ihre Art, zu trauern …
    Als Anne starb, trug ich Weiß – und alles war weiß an jenem Tag; die Obstbäume blühten, und die süße, reine Jane wartete in einem Haus auf dem Lande, ebenso jungfräulich und rein, wie Anne besudelt war …
    Als Jane starb, war alles schwarz – meine Kleider, der Hof, alle Gemächer auch schwarz verhangen …
    Und jetzt Rot. Rot wie Blut. Die Gerichte trieften von Blut, und deshalb waren sie rot. Ich sah es quellen, sah die Klümpchen von Geronnenem … die Köche konnten mich nicht täuschen! Wer hatte das getan? Wer hatte es gewagt?
    Unvermittelt sprang ich auf. Neben mir sah ich die angeschnittene Fläche eines Puddings, aus dem echtes Blut hervorrann. »Halt!« Ich schlug Wriothesley auf die Hand, dass er die Gabel fallen ließ.
    »Besudelt! Dafür wird jemand zahlen!«
    Alles hielt inne und wartete auf meine Befehle. Gehorsame, verschlagene Kreaturen. Aber eine Person war gegangen, hatte es gewagt, die Tafel vor mir zu verlassen, ohne meine Erlaubnis.
    Der leere Stuhl verhöhnte mich. Und dann sah ich sie. Auf dem Teller, quer darüber gelegt – eine einzelne rote Rose.
    Mit einem Stiel ohne Dornen.
    Furcht strich über mich hin wie Wind über ein Kornfeld.
    Catherine. Ihr Geist war hier.
    »Du schreckst mich nicht!«, rief ich, und ich log. Konnten Geister Gedanken lesen? Dieser kam aus der Hölle.
    Die Rose schimmerte und verschwand. Das Zeichen des Bösen. Unwillkürlich bekreuzigte ich mich, ohne zu merken, wie angstvoll meine Gäste mich anstarrten.
    »Gütiger Jesus, bewahre uns«, flüsterte ich. Das Ding war verschwunden, die böse Erscheinung vergangen. Aus den Speisen tropfte nicht länger Blut, und der Pudding neben mir verwandelte sich in einen gewöhnlichen Pudding.
    Langsam ließ ich mich auf meinen Stuhl zurücksinken. Es gab keinen Grund, dem Satan noch mehr Boden zu geben. Ich musste so tun, als habe dies alles nicht stattgefunden. Keinen Fußbreit Boden dem Bösen. Nein, niemals.
    »Ich wollte Euch nur auf die Probe stellen!« Ich lachte und wedelte mit der Hand. Alle blökten in gekünsteltem Lachen zurück.
    Ich spießte einen Brocken auf meine Gabel und steckte ihn in den Mund. Alle folgten meinem Beispiel und kauten dann mit übertriebenen Bewegungen. Auf und ab, auf und ab – wie eine Gesellschaft von Ziegen. Die Barte der Männer wippten dämonisch. Ihre Augen glühten. Dämonisch …
    Der Teufel ist ein Ziegenbock, behaupten manche. Oft nimmt er diese Gestalt an, denn er hat eine besondere Vorliebe für sie. Jetzt beseelte er die ganze Gesellschaft vor

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