Ich, Heinrich VIII.
außerstande, damit aufzuhören, und die Angst davor wurde bald ebenso furchtbar wie die Gedanken selbst. Es war mein Verstand, der von Maden verzehrt wurde, von den Maden des Wahnsinns.
Am Abend saß ich bei dem Bankett, das ich zu Ehren des Valentinstages befohlen hatte. Mundschenke und Speisenaufträger trugen Amorkostüme, und alle Gerichte mussten rot und weiß sein. So bestand der erste Gang aus Hummern, Krebsen, Eiersauce, Äpfeln und Rotkohl. »Venus« präsidierte am anderen Ende der Tafel, auf dem Platz, den Catherine hätte einnehmen sollen. Ich hatte mich für Henry Howards »schöne Geraldine« als Darstellerin der Venus entschieden – auch eine Schönheit, verheiratet mit einem alten Mann und umworben von einem jungen Freier. Ich wollte Catherine so gut wie möglich nachahmen, damit ich sozusagen zuschauen konnte, wie andere mich, Culpepper und Catherine spielten. Ich saß da und starrte sie an, wie sie ihre Locken zurückwarf (sie hatte nicht so dicke Locken wie Catherine), wie sie sich mit schlanken Fingern leicht am Halse herauf und über den Nacken strich, und wie sie sich langsam mit der Zunge über die Lippen fuhr. Wenn ich blinzelte … ja, dann hätte es Catherine sein können – wie andere sie gesehen hatten.
Ihr verblendeter alter Gemahl, Anthony Browne, saß unten am Ende des Tisches, zu meiner Rechten. Es gibt ja zwei Arten von alten Männern: die fetten und die welken. Er gehörte zu der verdorrten, runzligen Sorte; er sah aus wie eine vertrocknete Eidechse. Seine schwarzen Äuglein glänzten vor Liebe zu ihr. Ich sah, dass er unbeirrbar in ihre Richtung starrte und seinen Blick nur gelegentlich durch den Raum huschen ließ.
Ich weiß, was du denkst, ging es mir durch den Kopf. Du fragst dich, wie du zu einer so schönen Frau kommst. Du erinnerst dich an das, was geschah, als du das letzte Mal mit ihr ins Bett gingst. Wenn nichts geschah, so hast du seitdem einige Tränklein zu dir genommen, und jetzt betest du, dass es beim nächsten Mal anders sein möge. Wenn es zufrieden stellend war, dann redest du dir wieder und wieder ein, dass es das auch für sie war.
Du alter Narr!
Jetzt schaute ich Henry Howard an, ihren ersten Liebhaber. Starrte er »Geraldine« an? Ich beobachtete ihn, wie er sein Fleisch mit seinem eleganten persönlichen Besteck zerteilte. Er nippte an seinem Weinglas und betupfte sich dann zierlich die Lippen mit einem Spitzentaschentuch. Er sprach mit Petre, der neben ihm saß, und bedachte seine Geliebte mit keinem Blick.
Oh, er war gerissen. Viel gerissener als Culpepper, der sich auf tausenderlei Art verraten hätte, wenn ich nur Augen im Kopf gehabt hätte, es zu sehen. Aber Henry war ein Howard, und der hervorragende Charakterzug der Howards war die Gerissenheit. Die begnadeten Geister des Reiches – das waren die Howards. Sie waren überragend in den militärischen Tugenden, in der Kunst der Dichtung und der Diplomatie, und in der Schönheit. Aber die Tudors waren rücksichtsloser. Deshalb war ich König, und die Howards waren bloß Herzöge und Grafen. Nicht, dass sie es nicht auch gern gesehen hätten, wenn einer der ihren König gewesen wäre. Nicht, dass sie nicht versuchen würden, einen der ihren dazu zu machen …
Ich betrachtete das Trio noch einmal, und unter Qualen ließ ich mich und meinen Schmerz von ihnen darstellen. Als könnte ich, indem ich sie so sah, irgendwie zu neuer Einsicht gelangen, eine neue Perspektive finden, die meine Pein lindern würde.
Alter Narr!
Zwischen den Gängen trugen die albernen Amoren große, geschmückte Schachteln herein – auf der einen die Venus, auf der anderen ihr Sohn. In der »Venus«-Schachtel lagen Zettel mit den Namen aller Frauen, und jeder Mann würde sich seinen Valentinsschatz daraus hervorziehen. In gleicher Weise enthielt die »Amor«-Schachtel die Namen der Männer, und die Frauen mussten darunter wählen.
Die Gesellschaft gab sich Mühe, die Namen mit Vergnügen und leichtem Herzen zu ziehen, wie es diesem Anlass gebührte. Aber ich wusste wohl, dass sie mich für grausam und erbarmungslos hielten, weil ich am Tag nach der Hinrichtung meiner Frau ein solches Fest inszenierte. Ihr Lächeln und Kreischen täuschte mich nicht.
Aber erwarteten sie denn, dass ich wegen dieser Verräterin Trauerkleidung anlegte? Wollten sie, dass der Hof ein Vierteljahr lang schwarz gekleidet einhergehe, wie es für Jane geschehen war? Nein, bei Gott! Es war eine göttliche Fügung, dass ihre Hinrichtung unmittelbar
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