Ich, Heinrich VIII.
mir.
Das Ausmaß der teuflischen Gegenwart in ihnen offenbarte sich in der Helligkeit des roten Glühens in ihren Augen. Da war Tom Seymour: Seine Augen leuchteten wie ein zweifacher Mars bei Sonnenaufgang. Francis Bryans Auge glomm wie eine bösartige Kohle. Der Gesandte der Hölle – diesen Spitznamen hatte man ihm vor Jahren gegeben, weil er Anne Boleyn die Treue aufgekündigt hatte und weil er der erste Bote gewesen war, der Jane von Annes Verurteilung in Kenntnis gesetzt hatte. Damals war es eine Kleinigkeit gewesen, aber jetzt fragte ich mich doch, ob der Charakter nicht am Ende doch der Knecht solcher Kleinigkeiten war.
Die anderen? Edward Seymour, William Fitzwilliam, Anthony Denny, John Dudley, Wriothesley, Gardiner, Sadler, Audley … ihre Augen waren matt. Matt rot, matt »normal« – es war weder in dieser noch in jener Hinsicht etwas Besonderes an ihnen. Weil du aber lau bist und weder heiß noch kalt, will ich dich ausspucken aus meinem Munde. Satan hatte halbherzigen Anspruch auf sie erhoben, aber ihre Substanz lohnte den Kampf nicht. Das Schlachtfeld für den Krieg zwischen Gut und Böse musste schon großartiger, erhabener sein.
Gab es denn klare Augen hier in dieser Gesellschaft, Augen ohne einen Hauch von Rot? Vor allem bei den Frauen: Erstaunt sah ich, dass die Lady Anna von Kleve solche Augen hatte, und Katherine Parr, und »Geraldine«. Ach, Geraldine … dann liebst du deinen alten Mann also doch? Setzt ihm keine Hörner auf? Die Offenbarung war Balsam und Wunde zugleich.
Der leere Platz. Er war immer noch da. Und Catherine saß dort, am ganzen Leibe eingehüllt in perlenbesetzte Seide, bis hinauf zum blutig verklebten Halsstumpf. Rinnsale von Blut flossen an der Seite herab, quollen sanft und warm um das Geschmeide, das wie ein Kragen um ihre Schultern lag, bevor sie dann wie kleine Bäche in ihrem Mieder verrannen. Auf ihrem Teller lag ihr Kopf, und die Augen glühten in purem Rot.
Ihre Bosheit war offenbar! Ich warf mit meinem Becher nach ihr, und der Kopf fiel vom Tisch. Becher und Kopf polterten auf den Boden und rollten wie ungleichmäßige Garnrollen gegen eines der Tischbeine, wo sie zur Ruhe kamen.
Wieder starrte die Gesellschaft mich an. Aber das Protokoll verbot, dass sie mich anrührten oder von sich aus irgendetwas unternahmen.
Es war die Witwe Parr, die schließlich aufstand, herüberkam und mir die Hände auf die Schultern legte. Es waren sanfte Hände, wie ich sie seit Jane nicht mehr gefühlt hatte … aber es war noch etwas anderes in ihnen, eine besondere Gnade.
»Es geht Euch nicht gut«, sagte sie, und indem sie es sagte, ließ sie es natürlich klingen. »Ihr habt Schlaf nötig, mein Lord.« Sie zog mich auf die Beine. »Kommt und legt Euch zur Ruhe.«
Irgendwie war ich dann in meiner Kammer, und meine Diener entkleideten mich und legten mich ins Bett. Irgendwie war alles, wie es sein sollte.
»Ich habe nicht vergessen«, sagte sie, denn sie war noch da, »dass wir ein Valentinspaar sind, Ihr und ich.«
»Ich habe ein Geschenk für Euch, Kate.« Es war wichtig, dass sie wusste, ich erinnerte mich an meine Pflichten in solchen Angelegenheiten.
Dann war ich allein. In meinem Kopf pochte es, und alle meine Sinne drehten sich umeinander. Ich war übermüdet, ja. Wie lange hatte ich keinen natürlichen Schlaf mehr geschlafen? Catherine war erst seit kurzem tot. Ob sie jetzt schlief? Nein, sie schlief nicht. Das wusste ich schon.
»Heinrich.«
Ich hörte die Stimme, süß und wollüstig, in meinem Ohr. Sie lag neben mir.
»Heinrich.« Ein Stück weit entfernt. Ein paar Schritte vor dem Bett.
»Heinrich! Heinrich! Heinrich!« Schreie vor meiner Kammertür.
»Nein! Nein!« Das Holz vibrierte von ihrem Schall. Nur wenige Zoll trennten uns …
Ich riss die Kammertür auf, trat in das dunkle Privatgemach hinaus.
»Nein! Nein!« Die Stimme hallte hinter mehreren Türen. Ich öffnete die Türflügel des Privatgemachs. Dahinter lag der Audienzsaal, aber er war leer, weit, fremdartig.
»Heinrich!«
Es kam aus der Galerie, der langen Galerie, die die königlichen Gemächer mit der Kapelle verband.
Ich zerrte an dem Türriegel. Er war geschnitzt und wuchtig, um Bittsteller mit der ernsten Würde der Majestät zu beeindrucken. Die Türen selbst waren mächtige Platten, so hoch wie drei Männer. Sie aufzuziehen erforderte beträchtliche Körperkraft; ich fühlte, wie meine Bauchmuskeln sich unter der Anstrengung spannten.
Der Gang draußen lag verlassen. Dann sah ich
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