Ich, Heinrich VIII.
ihr aus. Ich wollte ihr alles erklären, wollte es diesem verständigen Kind erklären.
Aber ich konnte sie nicht erreichen. »Nein«, sagte sie und tat, als habe sie keine Tränen in den Augen. Sie hatte sich geschickt so gesetzt, dass man sie nicht genau sehen konnte. »Die Ehe ist der Tod.« Sie zuckte die Achseln. »Ich will nichts davon wissen.« Sie deutete auf ihre Valentinsgrüße. »Dies, und nichts weiter. Valentinsgrüße sind hübsch.«
Ich ging zu ihr und legte ihr einen Arm um die Schulter. Dabei fühlte ich ein steifes, unnachgiebiges Wesen. Sie wollte keinen Trost.
Ich war derjenige, der Trost suchte, Wärme. Aber auch das konnte ich nicht erreichen.
Die Königin war tot.
Catherine war kurz vor Morgengrauen zum Schafott geführt worden. Sie hatte trotz der frostigen Luft keinen Mantel getragen. Die versammelten Zuschauer zeigten sich großenteils gleichgültig. Catherine hatte keine Parteigänger, keine Beschützer.
Das an sich war kurios. Keine meiner Königinnen war bisher unverteidigt dahingegangen. Katharina von Aragon hatte viele Anhänger gehabt, die hitzig für sie eingetreten waren: Kirchenmänner, die bereit gewesen waren, für sie zu sterben, und die Leute aus dem Norden, die in ihrem Namen gekämpft hatten. Anne Boleyn hatte (vermöge ihrer Hexerei) so manchen gehabt, der bereitwillig sein Leben und seine politische Karriere für sie geopfert hatte. Um Jane hatte das ganze Reich getrauert. Sogar Anna von Kleve hatte Loyalität gefunden und war in gewissen Kreisen zur Beliebtheit gelangt.
Aber Catherine? Es schien, dass niemand, der sie wirklich kannte, sie auch liebte, abgesehen von zwei oder drei niedrigen Charakteren, die um ihre Gunst gebuhlt hatten. Als diese tot waren, trat niemand mehr vor, um sich mit ihr zu verbünden. Sogar ihre »Freunde« überschlugen sich schier in ihrem Bestreben, sie zu denunzieren und sich von ihr loszusagen. Sie waren zu ihr geschwommen wie Wasserratten, als sie Königin geworden war, und hatten Stellungen in ihrem Haushalt gefordert (»Black Mail«?). Jetzt schwammen sie mit gleicher Behändigkeit davon.
Aber warum so intellektuell darüber nachsinnen? Ja, es war viel sagend und überraschend, dass Catherine bar aller Verbündeten war, als sie das Schafott bestieg, aber …
Das Schafott. Sie hatte es erstiegen, geführt von anderen. Und das ist der Teil, den wiederzugeben ich gezögert habe, das ist der gräuliche Teil. Es wäre unehrlich, ihn auszulassen, aber … oh, gäbe Gott, er hätte sich nicht ereignet!
Sie stand regungslos in der frostigen Luft, ganz in Schwarz gekleidet. Rings um das Schafott standen Höflinge und ausländische Botschafter. Jedermann konnte sie hören, und jedes Wort, das sie äußerte, würde man in Erinnerung behalten und flüsternd weitergeben und überall verbreiten.
Vor ihr stand der Block, an dem sie in der Nacht zuvor geübt hatte. (Sonderbar, dass sie nicht auch um einen besonderen Scharfrichter gebeten hatte, wie ihre Cousine Anne einen bekommen hatte. Aber dafür hatte sie geübt, das Haupt auf den Block zu legen. Beide Königinnen hatten versucht, eine Staatshinrichtung in einen Schauauftritt für sich umzuwandeln – um sich zur Legende zu machen.)
Sie sagte – deutlich, sodass jeder es hören konnte: »Ich sterbe als Königin, aber lieber stürbe ich als Culpeppers Weib. Gott erbarme sich meiner Seele. Ihr guten Leute, ich bitte Euch, betet für mich.«
Dann legte sie – geübt – den Kopf auf den Block, und die Axt schlug ihn ab. Er rollte nur ein kurzes Stück weit ins Heu. Beamte hoben ihn auf und breiteten ein schwarzes Tuch über den Rumpf, der in seinem schwarzen Kleid immer noch vor dem Block kniete. Blut strömte aus dem durchschnittenen Hals, aber die kalte Luft ließ es rasch gerinnen. Man trug den Körper weg, legte ihn aber noch nicht in den Sarg. Erst sollte das Blut auslaufen, denn sonst würde es den Sarg beschmutzen.
Zwei Pagen schrubbten den Block, um ihn von Catherines Besudelung zu säubern. Der Boden ringsum wurde mit dampfendem Wasser aus Krügen gereinigt. Man erzählte mir, dass von dem Geruch des mit Blut vermischten heißen Wassers vielen Zuschauern übel geworden sei.
Dann wurde Jane Boleyn, Lady Rochford, auf den geschrubbten Block gezerrt. Man gab ihr Gelegenheit zu sprechen, wie es der Brauch ist.
»Ihr guten Christen«, sagte sie. »Gott hat mir erlaubt, dieses schmähliche Geschick zu erleiden, zur Strafe dafür, dass ich zum Tode meines Gemahls die Hand gegeben,
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