Ich, Heinrich VIII.
indem ich ihn fälschlich bezichtigte, mit seiner Schwester, Königin Anne Boleyn, der blutschänderischen Liebe zu frönen. Dafür verdiene ich den Tod. Aber eines anderen Verbrechens bin ich nicht schuldig.« Als sie Catherines schwarz verhüllten Leichnams ansichtig ward, fing sie an zu schreien. Zitternd legte sie den Kopf auf den Block und unterwarf sich der Axt.
Als alles Blut aus ihrem Körper gelaufen war, legte man Catherine in einen Sarg und bestattete sie im Tower in der Kapelle von St. Peter ad vincula, nur wenige Schritt weit neben ihrer Cousine Anne Boleyn.
Und so war es getan. Ihr Leichnam lag in einer Kiste, säuberlich verschlossen.
Gnädigerweise hörte ich erst am Abend, als die Kinder gegangen waren, was sie auf dem Schafott gesprochen hatte. Dann aber hörte ich es. Dann lag ich in meinem Bett (das nicht warm war, auch wenn es den Anschein hatte), und ich hörte es.
Ich sterbe als Königin, aber lieber stürbe ich als Culpeppers Weib.
Das hatte sie gesagt. Das hatte sie tatsächlich gesagt. War es die Wahrheit? Hastig ging ich darüber hinweg; es war jetzt nicht mehr zu ergründen, denn ihr blutloser Leib war begraben. Ich konnte sie nicht fragen, konnte ihr keine Erklärung mehr abpressen. Warum hast du bis zum Schluss darauf bestanden, Königin zu bleiben?
Ich sterbe als Königin, aber lieber stürbe ich als Culpeppers Weib.
Vielleicht hatte sie den Titel nur behalten, damit sie ganz nach ihrem Belieben damit tun konnte, was sie wollte. Und sie wollte ihre Liebe zu Culpepper glorifizieren.
Und auf meine Liebe zu ihr spucken, und auch auf all die Ehren, mit denen ich sie überhäuft hatte.
Sage dir nur selbst die Wahrheit, dachte ich bei mir. Schrecke nicht davor zurück. Die Wahrheit war, dass du ihr alles dargebracht hast, was du warst. Du warst krank, ja, und du warst alt. Aber du hast getan, was menschenmöglich war, um dies nicht weiter ins Gewicht fallen zu lassen und dich für sie zu einem Geschenk zu machen. Du hast dich voller Hingabe bemüht, zu sein, was sie, wie du dir einbildetest, ersehnte.
Aber sie ersehnte nicht dich.
Das ist es, was sie dir zum Abschied gesagt hat. Tu, was du willst, Heinrich. Du wirst niemals gut genug für mich sein. Ich ziehe den Charme eines Nichts, eines Niemand, vor. Deine Großtaten, deine Geschenke, deine Titel, deine Hingabe: Mir gelten sie nichts. Und du auch nicht.
Lady Rochford. Sie hatte behauptet, dass Anne Boleyn unschuldig gewesen sei, dass sie einen Meineid geschworen habe. War dies wahr? Und wenn? Angenommen, Anne und ihr Bruder wären kein inzestuöses Liebespaar gewesen. Hätte das etwas geändert? War das Annes Hauptverbrechen gewesen? Nein. Nur das Unnatürlichste. Aber fiele es fort, wäre sie immer noch eine Hexe gewesen.
Jane Rochford. Eifersüchtig auf Anne und jetzt eifersüchtig auf Catherine. Catherine hatte auf dem Schafott wegwerfende Worte gesprochen, Worte, die mich furchtbar verwunden mussten. Jane hatte sie nachgeäfft, so gut sie es gekonnt hatte.
Ich war erschöpft, und das Herz war mir gebrochen. Die Welt vor mir schien leer zu sein. Auf der Bühne des Lebens bot sich nichts.
Ich sah keinen Grund, mich aus dem Bett zu erheben. Nichts war mehr übrig als kleine Menschen, kleine Beweggründe, kleine Kreuzzüge. Die Welt war bedrohlich geschrumpft. Und ich desgleichen.
Solche hochgestochenen Worte vermitteln nicht, was ich wirklich empfand. Schließlich verfasse ich sie auch lange nach dem Geschehenen. Ich glaube nicht, dass man die Trostlosigkeit, die mich in dieser Nacht erfüllte, wirklich erklären kann. Ich war allein und ungeliebt, wie ich es mein Leben lang gewesen war. Erst jetzt begriff ich endlich, dass dieser Zustand dauerhaft war.
CXII
S t. Valentin. Catherine war seit vierundzwanzig Stunden tot. Natürlich war sie nicht einbalsamiert worden; ihr Leichnam war in seinem natürlichen Zustand, wie der Kadaver eines Hundes am Straßenrand, der am Tag zuvor von einem Karren überfahren worden war. Davon hatte ich schon viele gesehen. Meistens waren sie um diese Zeit schon so dick mit Fliegen übersät, dass es aussah wie ein Pelz, was sie bedeckte. In einem Sarg gab es keine Fliegen. Aber es gab Maden, die dort ausschlüpfen und sich von ihrem Fleisch ernähren würden. Doch wie würden die ausgewachsenen Fliegen schließlich aus dem verschlossenen Sarg entrinnen? Würden sie sterben, wenn der Leichnam gefressen war?
O Gott, diese albtraumhafte Besessenheit! Verlor ich den Verstand? Ich war
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