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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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sie … die weiße Gestalt, wie sie rückwärts fortgezerrt wurde und vor meinen Augen zurückwich. Klagendes Rufen hallte zu mir herüber, unsagbar traurig …
    Da war nichts. Es war verschwunden, die Erscheinung war fort.
    Ich kehrte in mein Bett zurück. Nach Culpepper hatte ich keinen trauten Kammergenossen mehr gehabt; ich schlief ganz allein und unbewacht. In gewisser Hinsicht genoss ich es. Es war lästig, in der Nacht stets Rücksicht auf die Bedürfnisse eines anderen zu nehmen; oft hatte ich nicht einmal eine Kerze anzuzünden gewagt, aus Angst, ihn zu wecken.
    Der Geist – denn es war ein Geist, und dann konnte ich ihn auch so nennen – hatte geschrien und gejammert, wie es kein Sterblicher je getan hatte. Würden noch andere ihn sehen? Oder war er nur für mich gedacht? Ich zog die Decken über mir zurecht. Ich würde nicht schlafen, das wusste ich. Ich gedachte die Nacht in einsamer Meditation zu verbringen.
    Es war in der dunkelsten Stunde der Nacht, wenn die Sonne fort ist und man glaubt, sie werde nie zurückkommen, als ich die Mönche das erste Mal sah. Sie standen im Schatten der hintersten Winkel meines Gemachs. Ich sah sofort, dass sie unterschiedliche Kutten trugen und zu verschiedenen Orden gehörten. Zur Linken war das helle Habit der Zisterzienser zu erkennen. Ich war nicht freundlich mit ihnen verfahren, das wusste ich. Sie waren ein strenger Orden und hatten ein einsames, inbrünstiges Leben geführt, und sie waren ein guter Orden gewesen – zu Anfang. Nun, zu Anfang sind wir alle gut. Aber beurteilen muss man uns nach dem, was aus uns wird.
    Daneben ein dunkles Habit. Gewiss ein Dominikaner. Es war schwer, diesen Orden zu lieben, so wie es zu Jesu Zeiten vielen schwer gefallen sein muss, die Apostel zu lieben. Sie waren zu scharfsinnig, zu beißend, zu gewitzt.
    Ein wenig abseits stand eine grau gewandete Gestalt. Greyfriars, die »grauen Brüder«, nannten die Leute die Gehorsamen Franziskaner; sie hatten ein Kloster gleich vor den Toren des Schlosses in Greenwich gehabt. Einst waren sie meine Freunde gewesen, dann waren sie meine Feinde geworden. Nun, ich hatte diesen sperrigen Orden vernichtet.
    Und dann, in der Mitte, eine braune Kutte. Oh, diese Kartäuser! Gegen sie hatte ich allerstrengste Maßnahmen ergreifen müssen. Sie hatten sich bei meinen aufklärerischen Bemühungen am widerspenstigsten gezeigt. Deshalb war ich auch nicht überrascht, als nun der braun gekleidete Mönch auf mich zukam.
    Wie konnte ich ihn sehen? Es war dunkel. Sein Habit glühte nicht, wie die Bauern behaupten möchten. Aber ich sah ihn.
    Er nickte mir würdevoll zu. Sein Gesicht konnte ich nicht erkennen, aber ich glaube doch, es war John Houghton, der Londoner Abt, den ich hatte aufknüpfen lassen, weil er sich geweigert hatte, den Eid abzulegen.
    »Heinrich«, intonierte – nein, wisperte er. »Du hattest Unrecht mit dem, was du tatest. Die Mönche waren gut und taten Gutes.«
    »Sie waren böse und taten Böses.« Sprach ich diese Worte aus, oder dachte ich sie nur?
    »Nein.« Die Stimme war leise. So leise, dass ich nicht hätte sagen können, ob sie Wirklichkeit oder Einbildung war.
    Die Mönche schimmerten. Ihre Kutten wehten, schienen die Farbe zu wechseln. Dann schien die Sonne – ein winziger Strahl nur – ins Gemach. Es gab keine Mönche mehr.
    Es gab keine Mönche. Es gab keine Catherine. (Doch, es gab sie, aber sie war ein Leichnam, ein Leichnam ohne Kopf. Wenn ich die Totengräber beauftragte, das Grab zu öffnen, würde sie dort liegen, in zweitägiger Verwesung. Im Winter ging es damit langsamer. Vielleicht wäre sie immer noch schön. Das heißt, ihr Gesicht, aufgeprägt auf einen abgeschlagenen Kopf.) Ich hatte das alles nur vor meinem geistigen Auge gesehen, in meiner kranken Fantasie. Was für ein machtvolles Organ, das Auge … Der König hat ein Auge geworfen auf Catherine Howard …

CXIII
    G leich würden sie zu mir in die Kammer kommen – die Diener, die Ärzte –, und sie würden von meinem Benehmen am Abend zuvor gehört haben (war es wirklich erst am Abend zuvor gewesen, dass ich dem Dämon in all seinen Abstufungen gegenübergestanden hatte?). Was war eigentlich genau geschehen? Gab es jemanden, der wagen würde, es mir zu berichten?
    Das Frühstück war vorüber, das Rasieren war vorüber, das Lesen der täglichen Depeschen war vorüber. Jetzt musste der Tag beginnen.
    Brandon kam zu mir in mein sonniges Arbeitszimmer.
    »Mein Benehmen gestern Abend«, begann ich

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