Ich, Heinrich VIII.
Menschen zu Sheen, an jenem Weihnachtsfest im Jahre 1498 … alle fort, verschwunden wie die Kammern, in denen sie umhergegangen waren. Nur ich ging noch umher, ein Schatten meiner selbst, oder doch beinahe.
Der Sohn meiner Schwester, der rothaarige König Jamie mit den schweren Augenlidern, hielt Ausschau nach einem Sohn, um die beiden zu ersetzen, die er verloren hatte. Seine französische Königin war wieder schwanger, und das machte Jamie streitlustig – törichtes Benehmen für einen König in seiner Position. Auf der schottischen Seite der Grenze lag reicheres Land als auf der englischen, wo tristes Moor sich erstreckte, und Edinburgh lag in Reichweite des Herzogs von Norfolk mit seinen zwanzigtausend Mann. Das machte es uns leicht, den Schotten Schaden zuzufügen, aber für sie war es schwierig, es uns mit gleicher Münze heimzuzahlen. Ich warnte meinen Neffen: Ich hielt »die Rute, die seinen Vater gezüchtigt, noch in der Hand«. Er aber beliebte sich taub zu stellen. So beschloss ich, bis zum Herbst zu warten, bis alles Korn eingebracht wäre, ehe ich dem Herzog – der zurzeit in Ungnade oben im Norden vermoderte – das Zeichen gäbe. Armer Jamie. Er würde sich noch wünschen, er wäre nach York gekommen.
Die Franzosen – es war schier unglaublich! – hatten sich mit den Türken verbündet. Jawohl: Franz wandte keusch den Blick ab, während Suleiman die Schenkel Europas spreizte und tief hineinstieß, bis an die Tore von Wien – wo er (um die Metapher zu vervollständigen) den Habsburgern ins Bett pisste. Ja, es war Franz höchstpersönlich, der für ihn die Decke lüftete.
Aber der Großtürke! Der Kalif Aller Wahren Gläubigen! Ihn als Bruder zu umarmen! Gewiss, es hieß, der Mann sei großartig, ein Juwel seiner Zeit, ein Gentleman, der alle in Europa übertraf, die sich so bezeichneten. Und dazu ein General, der brillanter war als alles, was wir seit Löwenherz gehabt hatten. 1521 hatte er Belgrad genommen, und ein Jahr später hatte er die bis dahin unbezwingbaren Ritter von Rhodos geschlagen und sie gezwungen, ihre Inselfestung zu räumen, auch wenn er ihnen, wie es sich für einen echten Ritter ziemte, freies Geleit zur Insel Malta gewährt hatte. Ja, er hatte sie sogar dorthin eskortiert. 1533 war Karls Bruder Ferdinand genötigt gewesen, Suleiman als obersten Herrn über Ungarn anzuerkennen. Und jetzt dieses Abkommen mit Frankreich, das den Franzosen erlaubte, auf türkischem Gebiet mit den Türken gleichberechtigt Handel zu treiben, eigene Konsuln auf türkisch beherrschtem Boden residieren zu lassen und sich als offizielle »Beschützer« der heiligen Stätten der Christenheit aufzuspielen. Und im Gegenzug? Was hatte Franz Suleiman dafür versprochen? England?
Oh, Suleiman war rücksichtslos, gewandt und schlau. Er hatte das Osmanische Reich erweitert, bis es aus den Nähten platzte und sich über Europa ergoss – auf Franzens Einladung. Und er verstand sich auf fesselnde Inszenierungen, mit denen er Aufmerksamkeit auf sich zog und zugleich andere belustigte. So etwa, als er mir das Krokodil schickte.
Ich bekam die Nachricht, dass die Kreatur mich im Hafen von Dover erwarte. In dem blumenreichen Brief hieß es, zum Zeichen seiner Hochachtung für mich, und da wir schon gute Nachbarn seien und bald noch enger benachbart sein würden, wünsche der Großkalif, dass ich einmal mit eigenen Augen einen der großen Recken seines Reiches zu sehen bekäme, dessen Vorbild ein General der Levante stets nachstreben sollte. Das Tier war nach einem machtvollen Kampf im Nildelta gefangen und nach Norden verschifft worden – zuerst auf einer eigenen Transportgaleere der Türken, dann auf einem französischen Schiff und mit freundlichen Empfehlungen von Franz. Er hatte gehört, dass ich im Tower einen Zoo besaß, und er wusste auch, dass der Tower von einem Wassergraben umgeben war, in dem die Bestie sich tummeln könnte. Ich brauchte sie nur mit Hunden und Katzen zur Speise zu versorgen.
»Ein Krokodil? Es erwartet mich in Dover?« Das Tier war gleichzeitig mit dem Brief angelangt.
»Ja, Eure Majestät.« Thomas Audley, der Kanzler, lächelte.
»Ist es lebendig?«
»Es hat die Reise offenbar überlebt, aber es ist in kläglichem Zustande.«
»Ich soll also ein krankes Krokodil wieder gesund pflegen?« Beim Blute Gottes! Welch ein vermessenes Unterfangen, dessen Suleiman sich da erdreistet hatte! Jetzt war ich gezwungen, die Bestie zu hätscheln und Mittel zu finden, sie über den Winter zu
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