Ich, Heinrich VIII.
Außenseiter verjagen. Es war seine Aufgabe. Es war sein Reich, in das Suleiman eingedrungen war; er war es, der den Titel des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches beanspruchte. England hatte es nicht nötig, sich dort einzumischen. Weshalb sollten wir uns an fernen Gestaden verausgaben? Andererseits wuchs in der Heimat auch eine Kraft heran, eine Kraft, die an Macht immer mehr zunahm und die uns zum Bersten bringen würde: Die religiöse Frage nämlich. Wäre es nicht politisch ratsam, sie auf einen Krieg zu lenken, wo sie sich zu meines Edward Vorteil verströmen könnte?
Die letzten hölzernen Streben gaben nach und fielen zur Erde. Die Zimmerleute traten beiseite, und Quigley näherte sich mit seltsam schnalzenden Lauten der Kiste. Er verharrte vor dem Eingang, denn drinnen war es dunkel und still. War die Kreatur nur friedlich, oder war sie schon bewusstlos und dem Tode nah?
»Krieg ist Torheit«, hauchte Petre mir ins Ohr. Ich verstand ihn. Krieg war natürlich Torheit. Was er nicht sah, war die andere Seite der Torheit.
»Wenn ein Übel Wurzeln schlägt, ist es ebenso töricht, die Augen abzuwenden«, gab ich ihm zu bedenken.
Aus dem Innern der Kiste kam ein Scharren, und dann erschien Quigleys Hinterteil. Er schleifte das Krokodil bei den Vorderbeinen heraus. Das Tier lag schlaff hingestreckt auf der Erde.
»Ich glaube, es ist krank«, sagte Quigley. »Es bewegt sich kaum. Es war eine lange, harte Reise. Ich muss es mit Zuckerwasser wiederbeleben.«
Die Gesellschaft war enttäuscht. Man wollte ein bedrohlich um sich schlagendes Untier sehen, nicht ein erschöpftes, hilfsbedürftiges Wesen.
Elisabeth kam heran. »Es scheint ein braves Tier zu sein«, stellte sie fest. »Gern würde ich meine Zeit darauf verwenden, es zu pflegen.«
Ein braves Tier? Und sie wollte es pflegen, statt zu lernen? »Nein, meine Liebe«, sagte ich. »Es steht dir besser an, wenn du dich um deine Bücher kümmerst.«
»Aber wenn ich Meister Quigley helfen könnte …«
»Ein Mädchen? Ihm helfen? Und dein Studium vernachlässigen, deine …«
»Mein Studium ist für mich allein«, unterbrach sie mich. »Es hilft mir nicht, zu herrschen, denn ich werde nicht herrschen. Es hilft mir nicht, mich zu verheiraten, denn ich werde nicht heiraten. Deshalb, so scheint mir, bin ich von allen Menschen im Reich Eurer Majestät so frei wie sonst niemand, zu tun, was mir gefällt. Ich bin für niemanden eine Gefahr, denn ich bin ein Weib, und ich bin für niemanden von Nutzen, denn ich gelte als illegitim. Daher bitte ich Euch, lasst mich. Wenn ich die Stunden meines Lebens darauf verwenden will, mich um ein armes Tier zu kümmern – wem schadet das? Euch jedenfalls nicht, denn Ihr habt keine andere Verwendung für mich.«
Ihr frecher Blick, ihre kecke Antwort und ihre Haltung – das alles waren Peitschenhiebe des Wahnsinns für mich. Anne Boleyns Tochter, das durfte ich niemals vergessen. Sie war nicht mein Kind, sie war Annes.
Und Mark Smeatons? Es gab Leute, die eine Ähnlichkeit mit ihm erkennen wollten und die hinter vorgehaltener Hand darüber tuschelten. Sie tuschelten, denn kämen mir solche Reden zu Ohren, wäre dies Verrat. Sie kamen mir trotzdem zu Ohren, aus zweiter Hand, von Schmeichlern und Tratschweibern hinterbracht. Maria hatte angeblich einmal bemerkt, Elisabeth gleiche »ihrem Vater Mark Smeaton«. Ich belohnte die Person nicht, die mir dies erzählte.
»Ich habe eine Verwendung für dich«, antwortete ich ihr. »Eine Verwendung nah bei meinem Herzen.«
Ich wollte, dass Elisabeth mich gern hatte, mich in töchterlicher Zuneigung in ihr Herz schloss. Beim Blute Gottes, meine Kinder sollten mich lieben! Meinen Vater hatte ich gehasst; jetzt schien das Schicksal dafür zu sorgen, dass ich meinen Kindern verhasst war.
»Ich habe keinen Platz bei irgendjemandes Herzen«, versetzte sie. »Und ich will dort auch nicht sein.«
Ich sah die winzigen Schweißperlen, die sich auf ihrer Kopfhaut sammelten, einer Kopfhaut, aus der Haar von der gleichen Farbe spross wie das meine. Die Julisonne stand inzwischen hoch genug, um drückend zu werden; bald würde es unerträglich werden, ohne Schatten dazustehen.
»So jung und schon so hart?«, fragte ich.
Sie wandte sich verlegen ab. Ich redete aber auch tatsächlich wie ein Freier. Die einzigen Menschen, die ich noch umwerben wollte, waren meine Kinder. Keine Frauen mehr. Mit denen war ich fertig.
Andere belauschten uns. »Wenn du dich um das Tier kümmern willst«, sagte
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