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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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bringen – oh, Fluch über ihn! »Glaubt Ihr, wir können es nach London bringen, ohne dass es eingeht?« Ich war neugierig, es zu sehen, und zwar lebendig. Nicht tot, um Gottes willen, denn das würde vielleicht die Geister in meinem Kopf wieder zum Leben erwecken … Psst, zurück, Catherine ist nur noch ein Skelett. Verwesendes Fleisch hatte mich heimgesucht, aber nicht Knochen.
    »Ja, wenn wir es langsam herschaffen. Der Menageriemeister wird wissen, was es braucht, wenn es erst hier ist.«
    Der Menageriemeister. Ein wunderlicher Bursche namens Rufus Quigley. Er war groß und dünn und erstaunlich jung, und Tiere schätzte er offenbar weit mehr als Menschen. Offensichtlich verstand er sie besser. Er lebte in einer Hütte auf dem Tower-Gelände, und seine Gefährten waren ein Igel und ein Geschöpf, das halb Hund, halb Wolf war.
    »Nun, dann gebt Befehl, es vorsichtig in den Tower zu transportieren.«
    Für das Krokodil würde der Tower eine Zuflucht sein, ein Unterschlupf – welche Ironie. Ein Krokodil! Jetzt brannte ich darauf, es zu sehen, das legendäre Wesen vom Nil …
    Ich hatte immer geglaubt, dass ich bestimmte Dinge eines Tages mit eigenen Augen sehen würde. Die Pyramiden. Den Nil, wo Moses aus dem Binsenkorb gehoben worden war. Das Heilige Grab, in dem Christus gelegen hatte. Die gesegnete Stadt Jerusalem. Eines fantastischen Tages würde ich den Fuß auf das geheiligte Pflaster des Kreuzweges setzen … weil ich es wollte und weil die Ereignisse sich schon so fügen würden, dass sie meinen inneren Bedürfnissen gerecht würden. Die Sehnsucht hatte ich noch immer, aber inzwischen nicht mehr die heitere Zuversicht der Jugend, dass es gewiss so kommen werde. Hier nun war die Wirklichkeit all dem vorläufig am nächsten gekommen: Ein großes Krokodil brauchte Behausung, Futter, Pflege, Transport und einen Platz für den Winter.
    Ich erhielt Nachricht von Audley, dass die Bestie in ihrem Käfig, den man auf meinen besten Transportkarren gezurrt hatte, am kommenden Donnerstag im Tower eintreffen werde. Bei dem Tier war noch eine versiegelte Schriftrolle vom Türken persönlich; es war sein Wunsch, dass »alle Würdenträger« zugegen seien, wenn sie geöffnet und verlesen werde.
    Unterdessen hatte man Meister Quigley auf den Plan gerufen. Bald darauf empfing ich seine Bitte um Zutritt zu gewissen Klostermanuskripten, die die Krone beschlagnahmt hatte und die er nun studieren wollte, um sich mit den Ernährungsgewohnheiten eines Krokodils vertraut zu machen. Ich gab ihm die Erlaubnis und war einigermaßen beeindruckt von ihm … und froh, dass ich so viele klösterliche Manuskripte behalten hatte. Sie würden sich für zukünftige Quigleys als höchst nützlich erweisen.
    Das Tier erwartete uns. Da stand es, in seiner ungeheuren Kiste im Schatten der Außenmauern des Tower. Ich selbst und auch der Geheime Staatsrat waren neugierig erpicht darauf, es zu sehen, auch wenn sie alle so taten, als erfüllten sie nur ihre Pflicht. Ich hatte Elisabeth und Edward eingeladen, sich das Spektakel anzuschauen; Maria erklärte, ein »Ausflug in den Zoo« sei unter ihrer Würde.
    Das war töricht von ihr. In Wahrheit war ein Ausflug in den Zoo ein begehrtes Erlebnis und eines, das ich nur selten erlaubte, weil Meister Quigley mich darauf hingewiesen hatte, dass menschliche Besucher für die Tiere ungesund seien.
    Ich habe schon gesagt, dass Vater einen Zoo, eine Menagerie hatte. Er fühlte sich von Tieren aller Art angezogen, allerdings nur in symbolischem Sinn. Ein Tier war für ihn kein Geschöpf aus eigenem Recht, sondern nur insofern, als es für eine bestimmte Eigenschaft stand: Ehre, Königswürde und dergleichen. Er bekam Geschenke von Edelleuten und Herrschern, die diesem Verständnis entsprachen. Als er starb, starben die armen Tiere fast alle mit ihm, denn sie hatten ihren dynastischen Symbolismus überlebt.
    Im Laufe der Jahre hatten sich aber Neuankömmlinge in der Königlichen Menagerie eingefunden, durch Zufall oder durch unglückliches Geschick: Ein verletzter Wolf, eine dreibeinige Schildkröte, eine blinde Schlange. So war aus der Königlichen Menagerie nach und nach ein Tierkrankenhaus unter der Leitung von Rufus Quigley geworden, wo kranke Geschöpfe genesen und zu Freunden des Menschen werden konnten. Suleimans Krokodil war das einzige unversehrte wilde Tier, das wir seit Jahren bekommen hatten.
    Um den fein geschmückten Kasten versammelt, schauten wir respektvoll auf Meister Quigley. Er hatte

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