Ich, Heinrich VIII.
wappnete mich für sein Verhör, indem ich hastig drei Becher Rotwein hintereinander trank. (Eine der Neuerungen, die ich in Vaters Abwesenheit eingeführt hatte, war die, dass stets für einen reichlichen Vorrat an unverdünntem Wein in meiner Kammer zu sorgen sei.)
Vater traf ich an seinem Lieblingsaufenthalt: in seinem Arbeitsgelass. (Man nannte es allenthalben nur sein »Rechenstübchen«, denn hier erledigte er den größten Teil seiner finanziellen Verwaltungsarbeit.) Als ich eintrat, kämpfte er mit einem großen Berg von zerknülltem Papier und beugte das Haupt über eine beträchtliche Kugel aus diesem Material. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie grau sein Haar war. Er trug seinen gewohnten Hut nicht, und im Fackelschein glänzte sein Scheitel silbern. Vielleicht erschien er deshalb niemals ohne irgendeine Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit.
»Zum Teufel mit diesem Affen!« Er deutete auf die kleine Kreatur, die jetzt frech neben dem königlichen Siegel hockte. »Er hat mein Tagebuch vernichtet!« Seine Stimme klang gequält. »Es ist dahin!«
Offensichtlich hatte der Affe sich bemüßigt gesehen, aus den Privatpapieren des Königs ein Nest zu bauen, indem er das Papier erst zerfetzt und dann platt getrampelt hatte.
»Vielleicht solltet Ihr ihn in die königliche Menagerie sperren, Sire«, schlug ich vor. Was Ihr bereits vor sechs Monaten hättet tun sollen. Ich hatte das Tier schon immer gehasst; es ließ sich in der Verrichtung seiner natürlichen Notdurft nicht wie ein Hund dressieren, verstand sich aber auch nicht darauf, in dieser Sache den Menschen nachzuahmen.
»Ja«, sagte er kurz angebunden. »Aber es ist zu spät. Er hat bereits vernichtet, was mir das Teuerste war.«
In diesem Augenblick fing die Kreatur an, kreischend an den Wandteppichen hinaufzuklettern. Es war klar, dass der Affe woanders hingehörte: Wenn nicht tatsächlich auf den Grund der Themse (wohin man ihn geschafft hätte, wäre es nach mir gegangen), dann jedenfalls in die königliche Menagerie im Tower, wo auch all die anderen seltsamen (und unwillkommenen) Bestien landeten, die manch ein irregeleiteter Wohlmeinender dem König geschenkt hatte. Es gab dort Löwen (deren Symbolismus längst überstrapaziert war), große Schildkröten (zum Zeichen der Beharrlichkeit), wilde Eber (irgendein Adelsemblem), Kamele (ich glaube, ein Symbol der Weisheit) und sogar einen Elefanten (Gedächtnis?).
»Das tut mir Leid, Vater.«
»Es gibt anderes, was dir Leid tun sollte.« Jäh ließ er das zerknüllte Papier fallen. »Dein Benehmen in meiner Abwesenheit zum Beispiel. Hast du gedacht, es bliebe mir verborgen?«
»Nein, Sire.«
»Warum also? Warum hast du es getan?«
»Ich weiß nicht. Ich musste.«
Er schnaubte. »Du bist ein Narr. Einer deiner Kameraden ist tot. Überdies hat man mir berichtet, dass …« Er brach plötzlich ab, denn ein wütender Hustenanfall schüttelte ihn. So schlimm hatte ich es noch nie gehört. Als er wieder zu Atem gekommen war, fuhr er fort. »Dass du dich heimlich mit Prinzessin Katharina getroffen hast, und zwar gegen meinen ausdrücklichen Wunsch. Nein, ich werde dir nicht erst Gelegenheit geben, es zu leugnen! Du bist ein mutwilliger, perverser Knabe! Niemals wird aus dir ein König, niemals, niemals, niemals …« Er war den Tränen nahe. Und dann senkte er das Haupt und weinte wirklich.
Ich überließ ihn seinem Gram, von meinem eigenen überwältigt. Hatte er Recht mit dem, was er sagte? Niemals wird aus dir ein König, niemals, niemals, niemals … Die Worte brannten in mir, sie fraßen an mir. Er hatte schon viele Könige gesehen, und er wusste Bescheid.
XI
I m Laufe des Herbstes verschlimmerte sich der Husten des Königs. Er trat nicht mehr sporadisch auf, sondern wurde zu einem festen Bestandteil seines Lebens, ob er wachte oder schlief. Im November war das erste Mal Blut in seinem Auswurf: ein Wegweiser zum Tod.
Was empfand er, als er es sah? Von allem, was Gott uns antut, ist es das Grausamste, wenn er uns den sicheren Tod zeigt. Ich bete darum, dass solche Eindeutigkeit mir erspart bleibe, wenn meine Zeit kommt.
Der König plagte sich weiter. Und überlebte diesen Winter und den nächsten.
Und so wurde ich kein fünfzehnjähriger König. Und auch kein sechzehnjähriger König. Dafür danke ich dem Herrn jeden Abend.
Ich war noch nicht bereit, König zu sein. Ich war viel zu jung. Würde ich jetzt König, wäre es unvermeidlich, dass ich einen Protektor bekäme, jemanden, der vorläufig
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