Ich, Heinrich VIII.
an meiner statt die Regierungsgeschäfte führte. Und wie sollte ich diesen Protektor wieder loswerden, wenn ich erwachsen wäre? Protektoren bemächtigten sich nicht selten des Thrones. Um ein Beispiel zu finden, brauchte man nur bis zu Richard III . zurückzugehen.
Schon in den Grenzen meines eigenen Reiches hätte ich es mit Männern zu tun, die viele Jahre älter wären als ich, mit Männern, die mich nach außen hin unterstützten, aber in Wahrheit nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren. Und stets gab es Prätendenten und Unruhestifter. Ich hatte mehrere Vettern, die Yorkisten waren; einer vor allem, der Herzog von Suffolk, Edmund de la Pole, der Sohn der Schwester Edwards IV ., stilisierte sich zur »Weißen Rose« und wartete grinsend in Frankreich, um irgendwann etwas gegen mich zu unternehmen. Im Ausland müsste ich Herrschern gegenübertreten, die fast dreimal so alt waren wie ich: Ferdinand, dem spanischen König; Maximilian, dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches; Ludwig XII , dem König von Frankreich; Papst Julius. Ich wäre ein Jüngling inmitten einer Rotte von Veteranen im Heucheln und Intrigieren.
Vater hatte fleißig alle Verstrickungen auf dem Kontinent vermieden, aber das konnte nicht mehr lange so weitergehen, zumal da die Franzosen im Verein mit Margaret von Burgund (der Schwester Edwards IV ., bekannt als »Tante aller Prätendenten«) beharrlich yorkistische Fantasien aufheizte und allen Zuflucht gewährte, die irgendeinen Anspruch auf den englischen Thron geltend machten. Vater hatte drei Feldschlachten schlagen und gewinnen müssen, um seine Krone zu verteidigen, und mir würde höchstwahrscheinlich auch nichts anderes übrig bleiben. Wie würde es mir aber auf dem Schlachtfeld ergehen? Im streng umschriebenen Bereich eines Turnierplatzes gab ich vielleicht eine gute Figur ab, aber mit einer richtigen Schlacht verhielt es sich doch anders. Richard iii. war tapfer und ein guter Streiter gewesen, hieß es … aber er war dutzendfach zerhackt worden, und nach dem Kampf hatte man seine nackte Leiche auf eine alte Mähre gebunden. Sein Kopf hatte herabgebaumelt und war beim Überqueren einer Brücke gegen das Mauerwerk geschlagen und zerschmettert worden, aber das machte nichts, denn er war ja tot …
Es würde Kampf geben und irgendwann eine Prüfung, in der sich erweisen müsste, ob ich zum König taugte. Und davor graute mir. Ja, ich kann es nicht verschweigen: Ich wollte diese Prüfung nicht, und ich betete darum, dass sie zu anderer Zeit einen anderen Mann treffen möge. Ich hatte Angst. Als die Zeit heranrückte, wollte ich nicht mehr König werden, so sehr fürchtete ich mich vor dem Scheitern. Als ich etwas jünger gewesen war, hatte ich unverdrossen angenommen, Gott habe mich zum Königtum auserkoren und werde mich in all meinem Tun beschützen. Jetzt aber wusste ich, dass es so einfach nicht war. Hatte Er Saul beschützt? Oder Heinrich VI .? Viele hatte er nur zum König gemacht, um sie dann stürzen zu lassen und damit irgendetwas von seinem unergründlichen Ratschluss zu illustrieren. Er benutzte uns, wie wir uns Rinder oder Bohnenranken zunutze machen. Und kein Mensch konnte wissen, wozu er dabei dienen sollte. Ein gestürzter König, ein törichter König: Gute Beispiele und Teil des geheimnisvollen Kreislaufs.
In dem Jahr, als ich siebzehn wurde, gab es bei Hofe nur zwei wesentliche Fragen: Wann würde der König sterben, und wie würde er sterben? Würde er friedlich im Schlaf verscheiden, oder würde er monate-, vielleicht jahrelang dahinsiechen, infolge beständiger Schmerzen grausam und vom Wesentlichen abgelenkt? Würde er vom Krankenbett aus die Staatsgeschäfte weiterführen, oder würde er dazu nicht mehr fähig sein und das Reich auf unbestimmte Zeit de facto herrscherlos treiben lassen?
Und Prinz Heinrich? Wer würde für ihn regieren? Der König hatte noch keinen Protektor ernannt, obwohl der Prinz nun gewiss nicht selbst die Herrschaft würde übernehmen können. Dies waren die Befürchtungen.
Äußerlich ging alles seinen gewohnten Gang. Vater fuhr fort, mit Botschaftern zusammenzutreffen, Verträge zu erörtern und um den genauen Gehalt dieses oder jenes Satzes zu feilschen, als kümmere es ihn noch, was in fünf Jahren dabei herauskommen könne. Alle paar Minuten unterbrach er sich, um Blut zu husten, ebenso natürlich, wie andere Leute sich räusperten. Zu diesem Zweck verwahrte er eine Anzahl sauberer Leintücher bei sich. Morgens brachte man ihm
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