Ich, Heinrich VIII.
und ich stand allein an der Reling des Schiffes. Ich war an Deck gekommen, in der dunkelsten Stunde der Nacht, um die Sonne aufgehen zu sehen.
Es lag etwas Heiliges in einer solchen »Nachtwache«. Die frühen Mönche hatten das gewusst, als sie die erste Stunde der Andacht um die Zeit der Mitternacht legten. Und in der Tat, es ruhte ein eigener Segen darin. Ich betete, als ich so dastand, betete für England, und es schien, als seien meine Gebete womöglich leichter zu vernehmen, solange der Himmel still und leer war.
Ich betete, dass wir diesem Angriff widerstehen möchten, dem größten, der je gegen England geführt worden war. Es war meine Schuld, dass es so weit gekommen war; ich hatte eine falsche Frankreichpolitik betrieben. Ich hatte das Schlimmste getan, was man auf der Jagd tun kann: Ich hatte das Wild verwundet, ohne es zu töten, und jetzt war es gereizt und wollte sich rächen.
Das Gleiche hatte ich mit Schottland getan; das sah ich jetzt. »Es war nicht so sehr die Hochzeit, als vielmehr die Brautwerbung«, hatte ein schottischer Edelmann protestiert. Ich hatte mich in Schottland dumm und übereilt benommen; so sehr war ich darauf erpicht gewesen, die Einheit zu erlangen, die doch fast in Reichweite gewesen war, dass ich meine Ungeduld die Oberhand hatte gewinnen lassen und die Schotten beleidigt und drangsaliert hatte, bis ihnen gar nichts anderes mehr übrig geblieben war, als sich an Frankreich zu wenden.
Oh, ich war ein Narr gewesen! Aber musste denn England dafür bezahlen?
Lass es auf mich zurückfallen, betete ich. Verschone das Reich.
Aber im Herzen wusste ich, ich war das Reich, und die Strafe für meine Kurzsichtigkeit und alle Unfähigkeit, die nach so vielen Jahren noch in mir waren, mussten nun gemeine kentische Soldaten bezahlen, sie und die Matrosen auf den ungefähr hundert Schiffen, die hier in der Bucht vor Anker lagen.
Die Stunden mit Kate waren vergessen, als ich in meiner Qual so dastand. Bei ihr war ich ein Mann gewesen; aber in dieser Schlacht, bei dieser Invasion, war ich ein König, und als König trug ich die Schuld dafür, dass ich mein Land in diese Gefahr gebracht hatte. Errette uns, o Herr, aus den Händen unserer Feinde.
Jetzt wurde es hell am Himmel; ich sah den Horizont, eine matte, flache Linie, auf der nichts zu sehen war. Die Franzosen waren noch nicht in Sicht. Der Wind ließ bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang immer nach; er würde bald wieder zunehmen. Ich wusste, heute war der Tag, an dem wir sie erwarten konnten. Heute war der Tag.
Die Matrosen hatten traditionsgemäß um vier Uhr Wachablösung. Die Morgenwache kam an Deck; ich hörte, wie der Mann mit seinem Kameraden sprach, der von Mitternacht bis vier oben gewesen war. Beide klangen schläfrig.
Die Sonne schob sich im Osten über den Rand des Horizonts, über das Land, und ihre Strahlen trafen auf die obersten der gerefften Segel, berührten ihre Falten und Beulen. Die Männer rührten sich. Ich roch die Kohlen, die in der Kombüse zu neuer Glut entfacht wurden. Meine private Stunde war zu Ende.
Das Frühstück wurde Kate, mir, dem Kapitän und dem Ersten Maat auf demselben Tisch serviert wie das Abendessen. Diesmal aber war er mit braunem Hausmachertuch und Zinntellern gedeckt, und wir waren von brüllenden Männern umgeben. Wir aßen »Seemannskost« – Zwieback, Pökelfleisch und heißes Bier –, damit wir sahen, wovon unsere Männer sich ernährten. Es war scheußlich. An dem Zwieback hätte ich mir beinahe die Vorderzähne ausgebrochen.
»Es heißt, wenn ein Stück davon vom Tisch rollt, schlägt es jeden tot, der darunter sitzt«, erklärte der Speisenträger, ein dürrer Bengel von etwa sechzehn Jahren. Dann lachte er wiehernd.
»Das Pökelfleisch wird uns in zwei Stunden durstig machen«, sagte Kate. »Was tut Ihr auf hoher See dagegen, da Ihr doch kein Meerwasser trinken könnt? Wenn Ihr wegen des Essens trinken müsst, schafft Euch das nicht zusätzliche Proviantprobleme? Solltet Ihr nicht lieber etwas anderes mitnehmen?«
»Das Fleisch hält sich nicht, wenn es nicht eingesalzen ist«, erklärte der Erste Maat. »Und lebendes Fleisch in Form von Hühnern und Rindern schafft noch mehr Probleme als ein paar zusätzliche Fässer mit Wasser.«
»Warum muss überhaupt Fleisch dabei sein?«
»Weil die Matrosen sonst nicht arbeiten können. Eine Zeit lang kommen sie mit Brot allein recht gut aus, aber wenn die Arbeit anstrengend wird« – er zuckte die Achseln –, »Brot allein gibt
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