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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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    Woran dachte ich hier? An Torgitteranlagen, während mein Land überfallen wurde? War das an sich nicht Wahnsinn? Der alte wahnsinnige König … nein, nicht ich. Nicht ich.
    Vom Turm, hoch und geschützt, schaute ich dann auf den Hafen hinunter. Die Größe der französischen Flotte war atemberaubend. Sie schien sich immer noch auszudehnen und erfüllte das ganze Meer, wie Klatschmohn auf einer Sommerwiese. Und gegen sie, umfangen von der Bucht des Solent, stand die wackere englische Flotte.
    Setzt Segel, setzt Segel!, befahl ich, schrie die Worte in meinem Herzen. Wind, erhebe dich! Aber die Segel flatterten leer in dem unbeständigen Wind, der gegen sie wehte. Nur der erfahrenste Seemann konnte ein Schiff unter solchen Umständen manövrieren.
    Die Mary Rose setzte sich jetzt in Bewegung; ihr Kapitän hatte es verstanden, den widrigen Wind vorteilhaft zu nutzen; die Segel füllten sich in der unsteten Brise und drehten das Schiff herum.
    Wie prachtvoll glitt sie dahin! Ich fühlte, wie der gleiche Besitzerstolz in mir aufwallte, den ich auch beim Durchschreiten des Tores empfunden hatte, nur noch viel stärker; ich kannte dieses Schiff schon lange, und es war nach meiner Schwester benannt.
    Sie war ein hübsches Spielzeug, wie es Kriegsspielzeug immer ist. Sie wiegte sich auf dem Wasser, und die grün-weißen Wimpel flatterten und knatterten; ich sah das Rot der Wappenbanner, darunter das des Vizeadmirals, die an der Bramstenge wehten. Blinkend kauerten die Reihen der Kanonen in ihrem Bauch. Sie sah fast aus wie der fantastische Kuchen, den wir am Abend zuvor gegessen hatten. Auf sie hatte ich große Stücke gesetzt; es waren Soldaten wie auch Matrosen an Bord, damit sie in jeder Schlachtsituation einsetzbar war. Sie war ein Kuchen, der den Staatsschatz eine Menge Gold gekostet hatte.
    Ich drehte mich um und sah die Milizführer herankommen, die Männer, die hier meinem Kommando unterstanden. Ich würde sie gegen die Franzosen hinausführen müssen, falls es denen tatsächlich gelingen sollte, zu landen. Sie grüßten mich, kamen zu mir und legten die Helme auf die Mauerbrüstung. Zusammen beobachteten wir das Gefecht dort unten.
    Die Franzosen drängten sich vor der breiten Einfahrt in den Solent. Die wechselnden Winde behinderten auch sie. Aber sie hatten mit Ruderern besetzte Galeeren, die sie vorschicken konnten, um unsere großen Schlachtschiffe zu drangsalieren. Es waren kleine, leichte Schiffe, wie man sie im Mittelmeer findet; insofern hatte ich geglaubt, sie eigneten sich nicht für englische Gewässer. Jetzt würden wir sehen, ob es den Franzosen einen Vorteil bringen würde, dass sie sich dafür entschieden hatten, sie in ihrer Marine zu behalten.
    Wie Jagdhunde, die das Wild umsprangen, umwimmelten sie die Great Harry, die langsam der Kanaleinfahrt zustrebte. Natürlich hatten die französischen Galeeren die Absicht, unsere ganze Flotte ins offene Meer hinauszulocken, uns so weit zu reizen, dass wir auf den Ozean hinausstürmten, wo sie uns durch ihre Übermacht würden vernichten können. Wir hingegen hofften, sie in den Solent hereinlocken zu können, wo unsere Kenntnis der Strömungen und Untiefen ihnen zum Nachteil gereichen würde; auch würden wir sie dann von der Festung Southsea aus unter Beschuss nehmen können.
    Jetzt musste die Mary Rose kreuzen, musste den behutsam ausgeglichenen Schrägkurs aufgeben, wenn sie die offene See erreichen wollte. Unserer Strategie zufolge sollten unsere vortrefflichsten Schlachtschiffe sich hinauslocken lassen, aber nur sie – die Mary Rose und die Great Harry. Die geringeren Schiffe, die Sovereign, die Peter Pommegranate, die Matthew Gonnson und die Regent, sollten sich zurückhalten.
    Mary Carew, die Frau des Vizeadmirals an Bord der Mary Rose, kam herzugerannt, ihre Haube mit beiden Händen umklammernd. Aber das war Wunschdenken, denn es ging nur ein leiser Wind, und eben darin lag für ihren Mann das Problem.
    »O gütiger Jesus, segne sie!«, rief sie. Sie stemmte sich an der Mauer hoch und schürfte sich dabei die Arme auf.
    »Aye! Er segne sie«, bekräftigte ich.
    »Oh! Oh! Oh!« Sie drückte sich an der Mauer empor, wäre fast hinübergeklettert wie ein unartiges Kind. Aber ihr Gesicht war angespannt, und rote Blutstropfen erschienen in gleichmäßigen Abständen auf ihrer Unterlippe, wo sich ihre Zähne hineingebohrt hatten. »Nein, nein!« Sie zitterte und stöhnte.
    »Madam«, rief ich, »es heißt, es bringt einem Schlachtschiff Unglück,

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