Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
Konflikte in der Türkei.«
Die ehemalige Landesbischöfin Margot Käßmann hat das Betroffenheitsprinzip zu einer hohen Kunst gebracht. Sie inszeniert sich gern öffentlich als patente Frau, die auch zu ihren Problemen – Krebserkrankung, Scheidung – steht. Auch deshalb brachte sie es bis zur EKD-Ratsvorsitzenden. Von dem Amt trat sie, nachdem sie mit 1,54 Promille im Blut eine rote Ampel überfahren hatte und in ihrem Dienst-Phaeton erwischt worden war, zwar bußfertig zurück, aber mit dem ihr eigenen, hohen Ton, man könne »nicht tiefer fallen als in Gottes Hand«. Daraufhin nahm sie sich eine Auszeit, die sie nutzte, um Betroffenheitsbücher, Zeitschriftenbeiträge und Blogs zu schreiben. Ihre Spezialität ist die von dem Münchner Theologie-Professor Friedrich Wilhelm Graf so genannte Trivialmoral, die weitestgehend ohne intellektuelle Anstrengung und Selbstreflexion produziert werden kann. Etwa anlässlich der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima, von der Käßmann selbstverständlich schwer betroffen war: »Ich habe vor allem Mitgefühl mit den Menschen dort. Manchmal wünsche ich mir, es gäbe eine Stunde Schweigen auf allen Kanälen statt permanent neue Bilder.« Auf die Idee, diesen Rat selbst zu beherzigen und vielleicht mal ins Schweigekloster zu gehen, kommt sie bedauerlicherweise nicht.
Die Mutter aller Betroffenheits-Gusten ist Margarethe Schreinemakers. Mit der nach ihr benannten Fernsehsendung war sie in den Neunzigerjahren Quotenkönigin. Ihre Kunst bestand darin, bei von was auch immer Betroffenen vor laufender Kamera auf die Tränendrüse zu drücken, was den Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg veranlasste, vor der »Schreinemakerisierung« des Journalismus zu warnen. Dass die Schreinemakers selbst dazu nicht mehr viel beitragen konnte, verdanken wir einer öffentlich inszenierten Machtprobe, bei der sich die Moderatorin gründlich verschätzte: In ihrer letzten Live-Sendung auf Sat.1 wollte sie sich nämlich einem Thema widmen, das ihr wirklich am Herzen lag: dem ihrer Ansicht nach unzutreffenden Vorwurf des damaligen Finanzministers Theo Waigel,sie sei ein Steuerflüchtling. Sie witterte eine Racheaktion, weil Waigels verlassene Ex-Gattin zuvor bei Schreinemakers TV über ihr Leid hatte klagen dürfen. Es wurde ein denkwürdiges Stück Fernsehgeschichte: Als die Schreinemakers am 22. August 1996 auf ihr Herzensanliegen zu sprechen kam, brach Sat.1 die Sendung ab. Später wechselte sie erst zu RTL und dann auf den absteigenden Ast.
Kleiner Hinweis: Wer von allem betroffen ist, ist in Wahrheit von gar nichts betroffen.
Der Blaublüter
Ist von allen Prominenten auf seine Rolle am besten vorbereitet, weil er, wie der Soziologe Georg Simmel in seinem »Exkurs über den Adel« schrieb, im Gegensatz zum Bürger, der einen Beruf ausübe, sich seit je auf die bloße Darstellung des Seins konzentriere. Friedrich Schiller drückte es so aus: »[…] gemeine Naturen zahlen mit dem, was sie tun, schöne mit dem, was sie sind.« 1 Und da Kaiser, Könige und Fürsten heutzutage fast überall auf der Welt ihre Macht verloren haben, können sie sich ganz auf ihre neue Aufgabe konzentrieren: uns mit schwülstigen, rührseligen oder saftigen Storys aus ihrem Leben zu versorgen.
Diese Geschichten sind so beliebt, dass ganze Medienhäuser allein von Blaublütern leben und ihnen interessante Rollen anbieten können: von der »Königin der Herzen« Diana über »ein lebendes Witzemuseum« (die Times über Prinz Philip, den Gatten von Queen Elizabeth II.) bis hin zum »Pipi- und Prügelprinzen« Ernst August von Hannover. Prinz Charles, der ewige Nachfolger, brachte die Mission seiner Familie in einemseiner wenigen hellen Momente einmal schön auf den Punkt: »Ich denke, wir sind eine Seifenoper.« Eine Seifenoper, die ununterbrochen läuft und deren Höhepunkte ein riesiges Publikum anlocken, nur übertroffen von Fußballweltmeisterschaften. Die Bunte geriet kurz vor der Hochzeit der bürgerlichen Kate Middleton mit Prinz William – wahrlich kein glamouröses Paar – am 29. April 2011 ganz außer sich: »DIE WELT SCHAUT ZU! Auf diesen Moment warten Millionen. Wie wird William seine Kate wohl küssen?«
Ja, wie denn nur? Er tat es auf typisch verhuschte Art der Royals, wie wir dank der Live-Übertragung von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 mitverfolgen durften. Jeder dieser Kanäle berichtete rund sechs Stunden über ein Ereignis, das jeder, der noch alle Sinne beisammen hat, nur als grottenlangweilig
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