Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
bezeichnen kann.
Was macht die Faszination des Blaublüters aus? Der Schriftsteller Gregor von Rezzori äußerte einmal die Vermutung, der Hochadel gelte als »eine Art gesellschaftlich, ja menschlich hochqualifizierte Markenware. Man ist mit diesem an sichtbarer Stelle angebrachten Qualitätsstempel des Qualitätsnachweises weitgehend enthoben.« 2 Der Blaublüter ist der Prototyp des Prominenten, der ungeheuer viel Aufmerksamkeit genießt, obwohl er nichts geleistet hat und auch nichts leisten wird. Die Süddeutsche Zeitung widmete der schwedischen Kronprinzessin Victoria eine ganze Seite, auf der man erfuhr, dass die junge Dame viel lacht »und ihre Zwischensätze erahnen lassen, dass sie nicht auf den Mund gefallen ist«. In einer der nächsten Ausgaben ging das Blatt dann ganz ernsthaft der Frage nach, ob Victorias Vater, König Carl Gustaf, der als Hallodri mit Halbweltkontakten gilt, abdanken solle. Antwort der schwedischen Politologin Cecilia Åse: »Mit dem Erbprinzip wäre das schwer zu vereinen.« (→ Der Experte)
Neid auf den Blaublüter ist aber nicht angebracht, denn in Wahrheit ist er ein armer Tropf: Er kann seine Rolle schwerlich ablegen und muss nach der Pfeife der Unterhaltungsindustrie tanzen. Die verfolgt ihn nicht nur auf Schritt und Tritt, sondern gibt ihm auch noch vor, welche Gefühle er zu empfinden hat, wie Queen Elizabeth II. erfahren musste. Sie wollte nach dem Unfalltod der von ihr nie besonders geschätzten Ex-Schwiegertochter Diana 1997 in Paris keinen großen Rummel. Da Lady Di nicht mehr zur königlichen Familie gehörte, sei weder eine offizielle Trauerbekundung noch ein Staatsbegräbnis notwendig. Doch da hatte die Queen die Rechnung ohne den Boulevard und den auf seine Wirkung bedachten Premier Tony Blair gemacht, die auf einer Welle der Massenhysterie um die »Königin der Herzen« mitsurften. »Zeigt uns, dass es im Hause Windsor ein Herz gibt«, lautete eine der Schlagzeilen aus dem September 1997. Schließlich spielte die Queen das verlogene Spiel mit eiserner Miene mit. Damit »die Firma«, wie sich die Windsors selbst nennen, weiterlaufen kann – the show must go on.
Der Blender
Man kennt diesen Typus seit der Schulzeit: Er ist nie vorbereitet, kann aber gut Interesse heucheln und labern. Weil nicht wenige ihn sympathisch finden, darf er immer irgendwo abschreiben. So mogelt sich der Blender durch und vermittelt uns die wichtige Erkenntnis, dass das Gerede von der Leistungsgesellschaft nur Gerede ist. Zwar stehen dem Blender keine ehrlichen Berufe offen, dafür aber lukrative und öffentlichkeitswirksame. Zum Beispiel als Verkäufer, Politiker, Gute-Laune-Bär oder Künstler.Letzteres ist eine Idealbeschäftigung für ihn, weil es zum Wesen der modernen Kunst gehört, von Scharlatanerie nicht unterscheidbar zu sein. Man denke nur an den manischen Selbstdarsteller Christoph Schlingensief, der dazu aufrief, Helmut Kohl zu töten, ein »deutsches Kettensägenmassaker« (mit Ossis als Opfern) drehte und auf dem Zenit seiner Karriere den »Parsifal« in Bayreuth aufführen durfte. Kunst oder Quatsch? Egal. Ein Künstler darf alles. Sogar auf eine bemüht verrätselte Art damit kokettieren, nur ein Blender zu sein.
Generell ist der Blender wie gemacht für die Mediengesellschaft, in der es vor allem auf den schönen Schein ankommt. Seine Karriere folgt dem Auf und Ab der Konjunktur. So brachte es der für einen Manager ungewöhnlich smart, wenn auch wie aufgedreht wirkende Thomas Middelhoff im ersten Internetboom zum Vorstandsvorsitzenden von Bertelsmann. Dort führte »Big T.«, wie er sich von Freunden gern nennen lässt, Englisch als Dienstsprache ein, setzte auf elektronische Medien und wollte unbedingt an die Börse. Als der Hype vorbei war, trennte sich der Firmenpatriarch Reinhard Mohn von Middelhoff und schrieb ihm später in dem besinnlichen Werk »Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers« diesen Satz ins Stammbuch: »Eitle Manager sind egoistisch und schwer zu beeinflussen.« Das ärgerte den Gescholtenen sehr und so beschloss Middelhoff, der Welt zu zeigen, was in ihm steckt – als Sanierer der später von ihm in Arcandor umbenannten KarstadtQuelle AG. Diese Herkulesaufgabe nahm er gewohnt schwungvoll in Angriff und gab für die Aktie das »Kursziel 40 Euro plus x« aus. Es folgten die Insolvenz und hässliche juristische Auseinandersetzungen, unter anderem wegen des leichthändigen Umgangs mit Firmenvermögen. Big T. kann bis heute nicht verstehen,
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