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Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Titel: Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Bergmann
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und gar nicht romantischen Story arbeitete. Darin ging es um einen überaus günstigen Kredit über 500.000 Euro, den die Unternehmergattin Edith Geerkens dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten gewährt hatte, damit der sich mit »seiner schönen Bettina« ( Bild ) ein Häuschen kaufen konnte. Diese Recherchen enttäuschten und erbosten Wulff derart, dass er dem Chefredakteur Kai Diekmann während seiner Dienstreise vom Nahen Osten aus (»Ich bin gerade auf dem Weg zum Emir!«) per Nachricht auf dessen Mailbox den Krieg erklärte und mit einem endgültigen Bruch der einst so guten Beziehung zum Springer-Verlag drohte. Was zeigt, wie falsch er die Machtverhältnisse einschätzte – es sind nicht die Fahrgäste, die den medialen Fahrstuhl bedienen. Bild ließ sich die Enthüllungsstory, an der auch die Konkurrenz arbeitete, nicht entgehen. Wortprotokolle von Wulffs Tirade auf Diekmanns Mailbox gelangten auf wundersame Weise in andere Redaktionen, und der Bundespräsident erlebte einen Shitstorm wie noch keiner vor ihm (er selbst sprach lieber von einem »Stahlgewitter«). Medien aller Couleur hefteten sich an seine Fährte und deckten auf, dass der Biedermann aus Osnabrück ein Freund reicher Gönner und Schnäppchen aller Art war. Weil er sich mit Zähnen und Klauen an sein Amt klammerte, dauerte die Daily Wulff Soap quälend lange. Erst nachdem die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung seiner Immunität als Bundespräsident beantragt hatte, trat er im Februar 2012 zurück.
    Etwa ein Jahr später meldete die Bild -Zeitung, die die Wulffs als erste aufs Korn genommen hatte, wiederum exklusiv, das Scheitern der Ehe des einstigen Vorzeigepaars.
Der Promi als öffentliches Eigentum
    Dass der Jagdtrieb von Journalisten, die Prominenten hinterherrecherchieren, nicht unbedingt relevante Fakten hervorbringen muss wie bei Mang und Wulff, zeigt die Geschichte von Jörg Kachelmann. Es ist einer der größten Aufreger der jüngeren deutschen Kriminalgeschichte und ein spektakulärer Fall der Demontage eines B-Promis. Der aus dem ARD-Wetterbericht und der MDR-Talkshow Riverboat leidlich bekannte Moderator mit dem Fusselbart wird am 20. März 2010 auf dem Frankfurter Flughafen festgenommen. Die zuständige Staatsanwaltschaft Mannheim – offenbar an Presseresonanz interessiert – teilt mit, dass gegen »einen 51-jährigen Journalisten und Moderator« wegen des Verdachts der Vergewaltigung ermittelt werde. Bild recherchiert am schnellsten, wer gemeint sein muss, und verbreitet die Nachricht online. Fast alle anderen Medien stürzen sich augenblicklich darauf.
    Kachelmann wird dem Haftrichter vorgeführt und kommt in Untersuchungshaft. Er bestreitet den Vergewaltigungsvorwurf, den eine Ex-Freundin gegen ihn erhebt. Es steht Aussage gegen Aussage. Und es gibt, bevor der Prozess gegen den Beschuldigten beginnt, eigentlich nichts zu berichten. Doch die Mischung aus Sex, Crime und Prominenz ist für die Presse unwiderstehlich – die Spekulationsmaschine wird angeworfen. Journalisten und alle möglichen Experten, die gern in den Medien vorkommen, deuten Kachelmanns Kleidung, Mimik und Gestik beim Gang zur »grünen Minna«, bei dem er für wenige Sekunden gefilmt wird und zu den Kameras gewandt sagt: »Ich bin unschuldig.« Später wird über jedes Detail aus den Ermittlungsakten berichtet, über die Spuren am mutmaßlichen Tatort, über Gutachten von Rechtsmedizinern und Aussagepsychologen,über das Tagebuch des mutmaßlichen Opfers. Und vor allem wird Kachelmanns Liebesleben en détail thematisiert. So lässt beispielsweise das Magazin der Süddeutschen Zeitung Ex-Freundinnen anonym über ihre Erfahrungen mit dem Mann erzählen. Die Bunte zahlt einer dieser Frauen 50.000 Euro für ihre Geschichte, in der Kachelmann nicht gut wegkommt und die Unterstellung mitschwingt: Wenn einer so gemein ist, dann ist er auch bestimmt zu anderen Dingen fähig.
    In der allgemeinen Hysterie gibt es nur wenige Journalisten, die Bedenken äußern wie Jakob Augstein, Herausgeber der Wochenzeitung Freitag : »Es geht uns nichts an, ob Jörg Kachelmann eine Freundin hatte oder ein Dutzend, ob er sie ›Lausemädchen‹ nannte und ihnen die Ehe versprach. Auch die Verwüstungen, die Kachelmann in ihren Leben zurückließ, gehen uns nichts an. Ja, es gibt Menschen, die andere in ihr Unglück hineinziehen. Aber der Mann war Wettermoderator, nicht Bundespräsident. Und trotzdem wissen wir nun lauter private Dinge über ihn, die uns nichts

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