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Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Titel: Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Bergmann
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angehen.«
    Diejenigen, die diese Dinge ohne Rücksicht auf Intimsphäre und Unschuldsvermutung zutage fördern, verfahren nach dem Motto: Der Mann ist ohnehin erledigt, ob er nun verurteilt wird oder nicht. Die spekulative Berichterstattung geht auch nach Beginn des Prozesses – bei dem die Öffentlichkeit und die Gerichtsreporter zum Schutz des mutmaßlichen Opfers häufig ausgeschlossen sind – ungebremst weiter. Die Westfälischen Nachrichten lassen ihre Leser sogar kurz vor der Urteilsverkündung abstimmen: »Glauben Sie an Kachelmanns Schuld oder Unschuld?« Der Fall spaltet die Presse und das Publikum. Die einen halten den Angeklagten für einen eiskalten Macho mit bedenklichen sexuellen Vorlieben und für schuldig. Die anderen sind von seiner Unschuld überzeugt; die wahre Übeltäterin seidie Ex-Freundin, die sich – weil sie von Kachelmann verschmäht wurde – mit dem Vergewaltigungsvorwurf an ihm rächen wolle. Auf Seiten der Kachelmann-Gegner stehen unter anderem Bild mit Alice Schwarzer in der Rolle der Chefanklägerin und die Bunte , auf Seiten der Verteidigung unter anderem der Spiegel und die Zeit . Die Zeit -Reporterin Sabine Rückert greift sogar aktiv in den Prozess ein: In einer Mail an Kachelmanns Verteidiger Reinhard Birkenstock bietet sie ihre Hilfe an. Allerdings könne man nur zusammenkommen, »wenn Ihre Verteidigung in dem angedeuteten Sinne professionalisiert wird, dazu sollten Sie sich überlegen, einen Kollegen einzubinden, der Verfahren dieser Art auch gewachsen ist. Wenn Sie mein Buch gelesen haben, wissen Sie, wen ich in einem solchen Fall wählen würde.« Rückert meint den Hamburger Strafverteidiger Johann Schwenn, mit dem sie das Buch Unrecht im Namen des Volkes geschrieben hat. Später trennt sich Kachelmann tatsächlich von Birkenstock und verpflichtet Schwenn. Die Zeit ist dann das erste Blatt, dem er nach Ende des Prozesses ein großes Interview gibt.
    Der Prozess gegen Kachelmann ist einer, der zugleich parallel über die Medien geführt wird. Die Presse benutzt Kachelmann und das mutmaßliche Opfer für ihre Zwecke und lässt sich benutzen. Auf der Internetseite des österreichischen Rundfunks ORF – der Distanz zu dem Spektakel in Deutschland bewahrt – heißt es rückblickend, die Berichterstattung über den Fall habe nur selten etwas mit der klassischen Gerichtsreportage zu tun gehabt: »Eher glich sie dem Schlachtenbummler-Jargon aus Fußballländerspielen.«
    Vierzehn Monate nach seiner Verhaftung wird Jörg Kachelmann von der Fünften Großen Strafkammer des Landgerichts Mannheim freigesprochen. In 43 Verhandlungstagen konnten keine stichhaltigen Beweise für eine Vergewaltigung vorgelegtwerden. Es gilt der Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten. Ihre schriftliche Urteilsbegründung nutzen die Richter auch zur Medienkritik. »Statt der gebotenen Zurückhaltung gegenüber einem laufenden Verfahren prägten vorschnelle Prognosen, das einseitige Präsentieren von Fakten und mit dem Anschein von Sachlichkeit verbreitete Wertungen die Berichterstattung«, heißt es dort. »Diese mögen zwar als Garant für Schlagzeilen und Verkaufszahlen dienen; der Wahrheitsfindung in der Hauptverhandlung sind sie jedoch in hohem Maße abträglich. Sie erzeugen Stimmungen, wo Sachlichkeit gefragt ist; letztlich vertiefen sie den mit der Durchführung eines Strafverfahrens verbundenen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten und der Nebenklägerin in nicht gerechtfertigter Weise.« Die Richter reden den Journalisten regelrecht ins Gewissen: »Bedenken Sie, wenn Sie künftig über den Fall reden oder berichten, dass Herr Kachelmann möglicherweise die Tat nicht begangen hat und deshalb zu Unrecht als Rechtsbrecher vor Gericht stand. Bedenken Sie aber auch, dass Frau X möglicherweise Opfer einer schweren Straftat war.«
    Dass dieser Appell verfängt, darf bezweifelt werden, zumal die Hauptfiguren in dieser Tragödie offenbar wild entschlossen sind, den medialen Schlachtenbummlern weiter einzuheizen. So hat Jörg Kachelmann gemeinsam mit seiner Frau Miriam eine Generalabrechnung mit der Justiz und ihm nicht wohlgesinnten Medien in Buchform verfasst (»Recht und Gerechtigkeit«). Seine ehemalige Freundin, die die Vergewaltigungsvorwürfe erhob, hat ihre Geschichte an eine Filmproduktionsfirma verkauft. Ihr Wunschkandidat für die Rolle des Jörg Kachelmann ist übrigens niemand Geringeres als George Clooney. »Er könnte«, sagte sie der Bunten , »das nette,

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