Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
sicherlich empört gewesen – ihrem Freund, dem »lieben Gottkönig mit der Kassenbrille« ( Spiegel online ), nimmt sie ’s offenbar nicht krumm. Der Mann hat Narrenfreiheit. In Nürnberg, der Stadt der NS-Parteitage, erzählte der Friedensnobelpreisträger 2008 vor Publikum die schöne Geschichte, wie er als Kind Fotos der Stadt gesehen habe, »sehr attraktiv«, mit »Generälen und ihren Waffen« und mit »Adolf Hitler und Hermann Göring«.
Die wichtigste Eigenschaft des Gurus ist der unbedingte Glaube an sich selbst, vulgo: Größenwahn. So behauptete SriSri Ravi Shankar, der laut Zeit »populärste spirituelle Lehrer Indiens und einer der bekanntesten Hindus der Welt«, in den vergangenen dreißig Jahren nie gestresst gewesen zu sein – dank einer Tiefenentspannungsübung namens Pranayama, die er auch Geschäftsleuten andient. Der Mann mit den langen Haaren und dem Zottelbart, der die Nähe von Stars und Politikern sucht und sich in aller Bescheidenheit mit »Eure Heiligkeit« ansprechen lässt, hat auch ein Geheimrezept zur Versöhnung der Weltreligionen parat: das von ihm so genannte sphärische Denken. Der Interviewerin des Wochenblatts erläuterte er die Sache nach dem Sendung-mit-der-Maus-Prinzip: »Nehmen wir als Beispiel meine Reise nach Berlin. Wie gelange ich dorthin? Ein Berater würde mich vielleicht nach Westen schicken, der andere nach Osten, aber beide würden behaupten, ihre Richtung sei die einzig richtige. Das ist lineares Denken. Sphärisches Denken heißt erkennen, dass widerstreitende Meinungen gleichermaßen zutreffen können. Von Hamburg aus gesehen liegt Berlin im Süden, von Dresden aus im Norden. Es kommt nur darauf an, wo man selber steht.« Abgesehen davon, dass Berlin von Hamburg aus gesehen eher östlich liegt – ein hochinteressanter Standpunkt!
Neben Universal-Gurus solchen Kalibers haben sich auch etliche Spezialisten auf verschiedenen Geschäftsfeldern etabliert. Zum Beispiel der Fitness-Guru und Triathlet Ulrich Strunz (»Laufen macht glücklich«), der nach einem Fahrradunfall auf Mallorca im Jahr 2006 seine sportlichen Aktivitäten einstellen musste. Oder der zwischenzeitlich wegen Meineides, Steuerhinterziehung und Konkursverschleppung zu drei Jahren Haft verurteilte Motivationsguru Jürgen Höller (»Jeder Mensch ist ein Gewinner!«). Oder der Erfinder der Fleisch-Diät und Ernährungs-Guru Robert Atkins, der bei seinem Tod im Jahr 2003laut Wall Street Journal 117 Kilo wog (bei durchschnittlicher Körpergröße).
Fest steht: Dieser Promi-Typus hat Zukunft, denn die Gurus kommen und gehen, aber die Denkfaulheit der Leute bleibt bestehen.
Der Halbweltler
Lebt Kleinbürgers heimliche Träume. Beim Publikum sorgt er für schaurig-schöne Gänsehautgefühle und in sonst braven VIP-Runden für eine Prise Exotik. Für den weiblichen Part werden gern verruchte Frauen wie die 2009 gestorbene ehemalige Hure Domenica Anita Niehoff genommen oder (Ex-)Porno-Aktricen wie Michaela Schaffrath, alias Gina Wild, und Dolly Buster. Die Konjunktur solcher Frauen hat allerdings wegen der allgemeinen Sexualisierung der Gesellschaft nachgelassen; mittlerweile wildert so mancher Amateur im Revier der Profis und dreht seinen eigenen Porno (→ Das Luder).
Irgendwann gerät der Halbweltler, der es zu einer gewissen Bekanntheit gebracht hat und in Talkshows herumgereicht wird, in eine Zwickmühle: Man schätzt ihn gerade wegen seines vermeintlich wilden und gefährlichen Lebens, ihn selbst aber zieht es hin zu bürgerlichen Ufern. Dolly Buster (bürgerlich: Nora Baumberger) – Markenzeichen »Puppengesicht« und »Ballonbusen« ( Stern ) – brachte es als Darstellerin in Hardcore-Streifen hierzulande zu einer beachtlichen Bekanntheit. 1997 gab sie ihren Beruf auf. Seitdem ist sie mit ihrem Mann nur noch als Produzentin von Filmen tätig und versucht krampfhaft, sich in seriösen Jobs zu etablieren, unter anderem als Schauspielerin, Krimiautorin, Malerin und DJane – alles mit mäßigem Erfolg. Nun hadert sie mit ihrem Schicksal, dem Niedergang der Pornobranche in Zeiten des Internets und ihrer Vergangenheit, die sie einfach nicht loswird. In der Süddeutschen klagte sie darüber, immer wieder von Jugendlichen belästigt zu werden: »Die stellen sich vor mein Haus und brüllen: ›Komm raus, du Sau, wir wollen dich ficken!‹«
Ein ebenfalls gespanntes Verhältnis zu seiner Geschichte hat die einstige St. Pauli-Größe Karl-Heinz »Kalle« Schwensen. Der Mann, der stets eine
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