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Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Titel: Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Bergmann
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Abhängigkeit von Muttis Lieblingen gebracht (allein ProSieben setzt lieber auf den → Rüpel Stefan Raab). Manche wie Günther Jauch sind populärer als der Bundespräsident (→ Der Grüß-August). Jauchs Teil-Umzug von RTL zur ARD im September 2011 wurde von der Presse analysiert und kommentiert wie ein Staatsakt. Die Vor- und Nachberichterstattung zu seiner erster ARD-Sendung am Sonntagabend – in der unter anderem der → Blender Jürgen Klinsmann in neuer Rolle als USA-Kenner über »den Amerikaner« als solchen schwadronieren durfte – konnte sich locker mit der anlässlich eines Endspiels der deutschen Elf bei einer Fußballweltmeisterschaft messen. Ein ähnliches Bohei wurde um Markus Lanz gemacht, als der im Herbst 2012 die Nachfolge von Thomas Gottschalk beim ZDF antrat.
    Weil Muttis Lieblinge so allgegenwärtig sind, hält das Publikum sie für omnipotent. So kürte die Damenwelt, animiert vom Meinungsforschungsinstitut Forsa, vor einigen Jahren GüntherJauch zum erotischsten Fernsehmoderator, gefolgt von Kai Pflaume und Jörg Pilawa. Was Sigrid Neudecker in der Frankfurter Rundschau zu dem Aufschrei veranlasste: »Ist die deutsche TV-Landschaft männermäßig wirklich schon so Wüste, dass ein Kaktus gleich zur Oase erhoben wird? Oder wie man auf chauvi sagt: Sind wir schon so verzweifelt?«
    Offenkundig ja, denn der Siegeszug von Muttis Liebling scheint unaufhaltsam. Die weibliche Konkurrenz – hier dominiert der Typus kesses, reifes Mädchen à la Sandra Maischberger, Maybrit Illner, Anne Will – kann nicht wirklich mithalten und wird im Zweifel von ihm weggebissen, wie Will, die ihren Top-Sendeplatz im Ersten für Jauch räumen musste.
    Das Dasein als Muttis Liebling ist nicht nur lukrativ, sondern wegen seiner hohen Popularitätswerte auch überaus angenehm, sofern der Betroffene erkennt, dass eine Entwicklung hin zum echten Mannsbild mit der Rolle unvereinbar ist. Markus Lanz tut sich damit noch schwer, denn er äußerte die irrige Ansicht: »Es wäre gut, und ich arbeite daran, noch mehr Ecken und Kanten zuzulassen.« Auf der richtigen Spur befindet sich dagegen Jörg Pilawa, der in der Sendung seines Kollegen Beckmann über sich selbst sagte: »Ich finde es nett, nett zu sein.«
Der Paradiesvogel
    Aus Prinzip schrill. Für ihn ist immer Karneval, sein Credo lautet: auffallen um jeden Preis. In unserem an Exzentrikern so armen Land schmückt der Paradiesvogel Events, Jurys, Talkrunden. Er ist ebenso exaltiert wie geschäftstüchtig und gibt gern den Clown. Tief drinnen in ihm sieht es aber zuweilen düster aus. So wie bei dem 2005 von einem Stricher ermordeten Münchner Modemacher Rudolph Moshammer. Der mauserte sich auch deshalb zum Paradiesvogel, um schwierigen Familienverhältnissen zu entfliehen. Seine Großmutter mütterlicherseits soll durch hartnäckige Intrigen dafür gesorgt haben, dass sein Vater seinen Job in einer Versicherung verlor, dem Alkohol verfiel und als Obdachloser starb. Das jedenfalls schreibt Maja Schulze-Lackner, die die Moshammers gut kannte, in ihrem Roman »Mosi«.
    Umso enger war das Verhältnis des Jungen zu seiner Mutter. Sie bestärkte ihren Filius nach Kräften in der Überzeugung, etwas Besonderes zu sein. In den Achtzigerjahren hatte er es dann geschafft: Der exzentrisch mit helmartiger Frisur, Rolls-Royce und Yorkshire Terrier Daisy als Accessoire ausstaffierte Mosi galt als Münchner Original. In seiner Boutique an der Maximilianstraße, die er in der für ihn typischen Mischung aus kindlichem Überschwang und Großmäuligkeit »Carnaval de Venise« genannt hatte, hielt er Hof und kleidete die Schickeria ein. Später kamen hauptsächlich Touristen, um die vom Schauspieler Ottfried Fischer einmal als »eine Art lebendes Neuschwanstein« genannte Kunstfigur zu bestaunen. Das gefiel dem leidenschaftlichen Selbstdarsteller, der, wiewohl literarisch unbegabt, sechs Bücher veröffentlichte (unter anderem die Biografie seiner Mutter »Mama und ich«). Und 2001 mit dem programmatischen Song »Hier spricht der König der Welt« bei der deutschen Ausscheidung zum Grand Prix d’Eurovision – glücklicherweise erfolglos – antrat. Weniger selbstbewusst ging er mit seiner Homosexualität um, die er nur heimlich mit käuflichen Männern auslebte, was ihm letztlich zum Verhängnis wurde.
    Ein würdiger Nachfolger mit frappierend ähnlicher Vita ist der ultra-tuntige Designer Harald Glööckler, der Mode für reife,üppige Damen entwirft und auf Shopping-Kanälen

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