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Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Titel: Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Bergmann
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wirklich froh, dass ich nicht mehr als Ferkel durch die Dörfer getrieben werde. Ich habe wahnsinnige Fehler gemacht.« Sein größter Fehler war eigenen Angaben zufolge, vor Jahrzehnten eine Scheinehe mit einer Dame abgelehnt zu haben, der sein guter Name fünf Millionen Euro wert gewesen wäre: »Damals habe ich noch extrem traditionsbewusst gehandelt. Total bescheuert! Heute würde ich sagen: Her mit der Kohle.«
    Generell ist der Tölpel vom Dienst ein Fall für die Gleichstellungsbeauftragten, denn bislang wird die Rolle allein von Männern ausgefüllt.
Der Werbe-Nerver
    Tut so, als sei er begeistert von allerlei Produkten. Wirkt dabei so glaubwürdig wie ein pickliger Pubertierender auf der Schultheaterbühne in der Rolle des Königs Lear. Allgemein gilt: Je prominenter und omnipräsenter der Werbe-Nerver, desto geringer seine Wirkung, denn kein Mensch kann sich daran erinnern, wofür er eigentlich Reklame macht – außer für sich selbst, natürlich. Die Fachwelt nennt das den »Vampireffekt«, zu studieren unter anderem an Franz Beckenbauer (warb für Tütensuppe, Turnschuhe, Telefone, Autos und, und, und) oder den Klitschko-Brüdern (warben für Snacks, Billig-Fitnesscenter, alkoholfreies Bier und, und, und). Seine Existenz verdankt der Werbe-Nerver einfallslosen Marketingleuten, die den Grundsatz »Ein Promi geht immer« gern auch ihren Kunden aus der Industrie immer wieder einreden. Mit Erfolg. Seit den Neunzigerjahren tritt der Werbe-Nerver gehäuft auf und dokumentiert so die Krise der sogenannten Kreativen in der Wirtschaft.
    Die Idee, Promis als Propagandisten zu besetzen, ist nicht neu. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts traten berühmte Männer in dieser Rolle auf. So warb ein Herrenausstatter in London mit dem deutschen Reichskanzler Bismarck für einen Mantel, den der getragen haben soll. Die Koblenzer Wein- und Sektkellerei Deinhard spannte sogar Kaiser Wilhelm II. anlässlich eines Besuches für Werbung ein. Und der amerikanische Orgelhersteller Estey ließ sich von Fachleuten wie Richard Wagner, Franz Liszt oder Edvard Grieg empfehlen. »Auffällig zu dieser Zeit«, schreibt der Kommunikationswissenschaftler Ulrich F. Schneider, »ist der stets vorhandene tatsächliche Bezug zwischen dem beworbenen Produkt und dem werbenden Prominenten.« 5
    Davon kann beim Werbe-Nerver unserer Tage keine Rede mehr sein. Wer glaubt schon, dass Verona Pooth sich beim Discounter Kik einkleidet? Dass Michael Ballack online nach billigen Charterflügen sucht? Dass Halle Berry auf Schuhe von Deichmann steht? Oder der anorektische Karl Lagerfeld auf Magnum-Eis? Gelungene Promi-Produkt-Kombinationen wie die kurzzeitige zwischen der Ex-Eurovision-Song-Contest-Gewinnerin Lena Meyer-Landrut mit Opel – beide befinden sich auf dem absteigenden Ast – sind eher die Ausnahme. So wundert es nicht, dass einer groß angelegten amerikanischen Studie zufolge Celebrities unterdurchschnittlich gut in der Werbung funktionieren. Anderen Untersuchungen zufolge lehnen drei von vier Befragten Promi-Reklame ab.
    Dass der Werbe-Nerver trotzdem gut gebucht wird, liegt nicht zuletzt an seinem Glamour-Faktor: Nicht wenige Unternehmer und Manager finden es toll, mal eine echte Berühmtheit zu engagieren und sich in ihrer Nähe zu sonnen. Um irgendwann verstört festzustellen, dass so jemand ihr Geschäft schädigen kann, wie Martin Vorderwülbecke, ehemaliger Geschäftsführer der Textilkette Adler, zerknirscht gegenüber der Fachzeitschrift Textilwirtschaft einräumte. Er kündigte 2009 kurzfristig den Werbevertrag mit der Schauspielerin Veronica Ferres. Der Grund: Sie hatte damals ihren Gatten Martin Krug verlassen und lebte in wilder Ehe mit dem Gründer des Finanzvertriebs AWD, Carsten Maschmeyer, zusammen. Das, so Vorderwülbecke, sei »den kleinen Leuten, die bei Adler einkaufen«, nicht zu vermitteln gewesen. »Die sagen: Die Ferres wollen wir nicht.« Die Trennung von ihr war nicht billig: Nach einem gerichtlichen Vergleich kassierte sie 400.000 Euro Abfindung.
    Ebenfalls als kontraproduktiv erwies sich für die Molkerei Müller die Zusammenarbeit mit der Werbefigur Dieter Bohlen, denn der teilte einer Zeitung seine wahre Meinung über eines der Produkte des Hauses mit: »Buttermilch wird von 50-jährigen alternativen Biolatschenträgerinnen gekauft.« Woraufhin man ihn feuerte. Dumm lief es auch für den Energiekonzern RWE, der im August 2000 stolz verkündete, den Fußballtrainer und Motivationskünstler Christoph Daum für eine

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