Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
Bekannte Leute, die zur Fernsehfamilie gehören wie die Mainzelmännchen, hocken in wechselnder Zusammensetzung zusammen und streiten sich – aber bitte nicht zu doll. Die Mischung ist immer ähnlich: ein Linker,ein Rechter, ein → Experte, ein → Dampfplauderer, vielleicht noch ein alter Haudegen und ein bunter Vogel – und schon wird losgelabert.
»Die Lebendigkeit der Talkshows resultiert im Wesentlichen aus den redaktionellen Dramaturgien«, schreibt Bernd Gäbler in der in Kapitel 1 bereits genannten Untersuchung der Otto Brenner Stiftung. »Sie fordern von den Akteuren Rollentreue.« Entsprechend werde besetzt: »Gesundheit? – Also her mit Karl Lauterbach! Seine Fliege sichert Wiedererkennbarkeit. Schwere Kindheit? – Das ist doch was für Gunter Gabriel, der darf dann auch singen! Lehrlinge? – Her mit dem tollen Porsche-Betriebsrat, der mal Kickboxer war! Rente? – Ja doch, Norbert Blüm und Rudolf Dreßler, das hat auch was schön Anheimelndes. […] Auch Richard David Precht macht sich prächtig. Bei Frauenfragen selbstverständlich Alice Schwarzer.« 8
So sind es die immer gleichen Figuren, die die Talkshows bevölkern. Den Auftritts-Rekord in den großen Runden in ARD und ZDF für das Jahr 2012 halten übrigens Wolfgang Kubicki und Ursula von der Leyen (jeweils neunmal), gefolgt von Sahra Wagenknecht, Wolfgang Bosbach (jeweils achtmal), Jakob Augstein (siebenmal), Andrea Nahles, Christian Lindner, Gertrud Höhler, Heiner Geißler, Norbert Blüm, Ranga Yogeshwar und Thomas Oppermann (jeweils sechsmal). Selten kommt jemand Neues hinzu. Normale Leute sind allein in der Rolle des »Betroffenen« geduldet, der über einen ganz bestimmten Ausschnitt der Realität – wie lebt es sich als Ausländer, Hartz-IV-Empfänger oder in einer Patchworkfamilie? – möglichst »authentisch« Auskunft zu geben hat. Darüber hinausgehende Statements sind von ihm nicht gefragt.
Mit Informationsvermittlung hat das wenig zu tun, mehr mit einer täglichen Seifenoper. Den Prominenten, seien es Talkmaster oder Gäste, ist das recht, weil ihr Wert sich an der Häufigkeit ihrer Auftritte bemisst. Ergebnis ist eine Endlosschleife von Talking Heads die vor allem eines zu beherzigen haben, wie der Sozialpsychologe Manfred Clemenz in einem Essay für den Spiegel schrieb: »Bitte keine Fakten, Fakten sind langweilig, unpersönlich, unemotional, nicht sexy.« Maybrit Illner brachte dies einmal mit einem bezeichnenden Tadel an ihre Gäste zum Ausdruck: »Sie retten sich so schön in die Inhalte.«
Allerdings ist es auch mit dem Unterhaltungswert dieser Sendungen nicht weit her, weil sie prinzipiell frei von Überraschungen, neuen Einsichten oder Wendungen sind. Die meisten Talkshows sind ähnlich aufregend wie das Schonprogramm einer Waschmaschine.
Dass das nicht so sein muss, zeigte die legendäre Diskussionsrunde Club 2 des Österreichischen Rundfunks, die von Oktober 1976 bis Februar 1995 lief und vor einiger Zeit wieder aufgelegt wurde. Hierzulande ist besonders die Sendung bekannt, in der Nina Hagen Masturbationsanleitungen gab. Der wesentliche Unterschied zu den heutigen Runden sei der Überraschungseffekt, sagte der österreichische Philosoph Robert Pfaller der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung . Die Sendung sei eigens entwickelt worden, »um einer größeren Bevölkerung die Möglichkeit zur politischen Diskussion zu geben. Da konnte die Hausmeisterin neben dem Minister sitzen und fragen: Sagen Sie, was haben Sie da für Sozialgesetze beschlossen? Das war wirklich konfrontativ, man wusste nicht vorher, was die Einzelnen sagen würden.« Damals habe man sich für die gesamte Persönlichkeit der Gäste interessiert, während heute nur das one trick pony gefragt sein, das eine einzige Masche draufhabe. Keine der Personen, die uns heute in den Talkshows vorgeführt würden, habe mehr »diese Doppelexistenz von ›bourgeois‹ und ›citoyen‹, die ihm erlaubt, das, was er ist, auch mal zu transzendieren, mal vernünftiger zu sprechen, als er eigentlich ist, sich gesitteter zu benehmen oder auch im Kopf des anderen zu denken.«
Diese Charakterisierung trifft nicht nur auf das Talkshowpersonal zu, sondern generell auf den Prominenten von heute. Seine wichtigste Eigenschaft ist Berechenbarkeit – und sein gehäuftes Auftreten ein Armutszeugnis für die Medien.
Wie das Publikum für dumm verkauft wird
Lohnt es, sich über die Promi-Plage aufzuregen? Man ahnt doch, dass alles nur Show ist. Warum soll man sich nicht
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