Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)
Weeks. Als es sich herumsprach, dass ein Nachrichtenteam auf dem Gelände war, vergrößerte sich das Publikum. Die meisten Nachbarn und ein paar Leute von der Straße drängelten sich in den engen Raum, um bei den Aufnahmen zuzusehen. Zwischen den Einstellungen bildeten sie kleine Grüppchen und kommentierten den Überfall. Liv fühlte sich wie eine drittklassige Schauspielerin in einem drittklassigen Film über ihr schreckliches Leben.
»Ins Parkhaus werden sie uns wahrscheinlich nicht folgen«, sagte Sheridan leise.
»Wie hältst du das nur jeden Tag aus?«, fragte Liv.
»Wahrscheinlich, weil ich eine größere Rampensau bin als du.«
Auf dem Weg nach draußen warf Liv einen Blick nach rechts zu Daniels Büro, an dessen Tür das Schild »Risikomanagement« hing. Es wies ihn als Experten für Sicherheit am Arbeitsplatz aus. Sie hoffte ihn zu sehen, um sich bei ihm zu bedanken, jetzt, wo sie wieder richtig sprechen konnte. Doch im Empfang seines Büros war niemand, es war dunkel und leer. Vielleicht konnte sie etwas für ihn kaufen. Was schenkt man jemandem, der einen über den Boden zerrt und in Sicherheit bringt? Eine Flasche Whiskey? Einen goldenen Stift? Einen Gutschein?
Sheridan hatte mit den Schaulustigen recht behalten. Nur Kelly folgte ihnen.
»Soll ich mitkommen und deine Texttafeln halten?«, fragte sie.
»Ich glaube nicht, dass ich was Längeres ablesen möchte. Ich käme mir idiotisch vor.« Liv rückte das kleine Mikrofon zurecht, das an ihrer Bluse steckte. »Außerdem habe ich das Büro heute schon genug aufgehalten.«
Liv und Sheridan folgten dem Kameramann zur Fußgängerrampe, das Geräusch ihrer Schritte wurde vom Lärm auf der Straße übertönt. Sie wichen auf die Seite aus, als zwei Männer die Rampe herunterkamen. Einer war groß. Liv prüfte sein Gesicht. Keine Verletzungen.
»Wie geht es deinem Dad?«, fragte Sheridan.
Gestern Morgen war er schwach und von den vielen Medikamenten schläfrig gewesen, aber er hielt noch immer ihre Hand mit eisernem Griff. »Er klammert sich ans Leben, er kann nicht aufgeben.« Sie musste ihn heute Nachmittag besuchen und mit ihm reden, bevor er ihr Gesicht im Fernsehen sah. Mit Cameron musste sie auch reden.
»Ist es okay, wenn ich deinen Dad erwähne?«
Liv sah sie an. »Wie meinst du das?«
»Ich möchte nur erwähnen, dass Tony Wallace dein Vater ist. Die Leute reden immer noch über ihn, weißt du. Schon lustig, wenn man so darüber nachdenkt. Irgendein Arschloch schlägt eine Frau in einem Parkhaus zusammen, und dann stellt sich heraus, dass sie die Tochter eines Boxchampions ist.«
»Ich hoffe, das Schwein hat seine Lektion gelernt.«
Sie erreichten den dritten Stock, Liv ließ ihren Blick durch die Garage schweifen. Viel Licht, viele Autos, ein paar Leute zu Fuß. Keine verletzten Gesichter. Sie gingen zu Livs Wagen, der immer noch dort stand, wo sie ihn gestern Nacht gelassen hatte. Auf dem Kofferraumdeckel war eine Delle, sie überlegte, was daraufgefallen sein konnte. Während der Kameramann seine Sachen aufbaute, warf sie verstohlen einen Blick zum Stützpfeiler zwei Parkplätze weiter weg, um den noch das blau-weiße Polizeiband hing. Hatte sich der schwarz vermummte Mann dort versteckt und sie die ganze Zeit beobachtet? Vielleicht hatte er sich auch gar nicht versteckt. Vielleicht hatte er sich einfach gemütlich dagegengelehnt, weil er wusste, dass er sich in der Dunkelheit nicht verstecken musste.
»Erzähl mir doch einfach, wie es war«, schlug Sheridan vor.
Liv lief den Bereich ab, gestikulierte und holte wie bei einem Boxhieb mit dem Arm aus, während Sheridan ihr aus dem Weg ging, als sie ihr brutales Gerangel um den Wagen demonstrierte.
»Was für ein Gefühl war das?«
»Ich weiß nicht. Es ging alles so schnell.«
»Hattest du Angst?«
Sie erinnerte sich an seinen keuchenden Atem, als er sie packte, und an den Adrenalinstoß, der sie gleich darauf durchflutete. Und an ihre reflexhafte Reaktion, trotz der Chance zu fliehen – das Gleichgewicht halten, mit erhobenen Händen, lockeren Fäusten, obwohl sie seit Jahren keinen Schlag mehr ausgeteilt hatte. Ihr Dad würde stolz auf sie sein.
»Nein, ich hatte keine Angst. Jedenfalls nicht, als ich zurückgeschlagen habe. Erst später, als mir klar wurde, was passiert war, habe ich panische Angst bekommen. Da habe ich angefangen zu schreien und so viel Lärm wie möglich gemacht. Ich habe gewusst, dass Lärm meine einzige Chance ist. Ich habe zurückgeschlagen und
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