Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)
klang noch nicht nach Nachrichten. »Wie war das Probespiel?«
»Toll. Ich und Sam haben Tore geschossen, der Trainer hat gesagt, dass wir beide als Stürmer spielen könnten.«
»Das ist ja toll.« Sie stützte einen Arm auf das Sofa und lachte über sein Geplapper vom Training, dem neuen Trainer und dem Schlamm auf dem Spielfeld, den der Rasensprenger verursacht hatte. Es tat ihr leid, dass sie ihm mit ihrer Geschichte die gute Laune verderben würde, darum ließ sie ihn weiterplappern und genoss den Klang seiner Stimme. Dann hörte sie im Hintergrund die Stimme einer Frau und hörte auf zu lächeln.
»Ich muss unter die Dusche«, sagte Cameron. »Ich habe den Teppich schmutzig gemacht.«
»Nein, warte. Sag deinem Dad, dass du gerade mit mir telefonierst.«
»Dad ist noch nicht zu Hause.«
Die Frau sagte wieder etwas. Ärger stieg in Liv hoch. Thomas, Scheißkerl, erst bestand er darauf, genauso viel Zeit wie sie mit Cameron verbringen zu dürfen, und jetzt kümmerte er sich nicht um ihn, sondern überließ ihn einfach seiner verdammten Geliebten.
Sie bemühte sich, nicht zu viel Gefühle in ihre Stimme zu legen. »Sag ihr, dass ich noch nicht fertig bin. Dann ziehst du deine Schuhe aus und gehst mit dem Telefon raus, damit du den Teppich nicht schmutzig machst.«
»Okay.«
Dumpfes Knistern und gedämpfte Stimmen waren zu hören, es schien ewig zu dauern. Liv stand auf, lief auf und ab, wartete und biss die Zähne zusammen gegen den aufsteigenden Ärger. Mit der verbundenen Hand schob sie den Vorhang vor der Glastür beiseite und blickte auf den dunklen Garten hinaus. Der Gartenzaun leuchtete schwach und warf unruhige Schatten auf die Grundstücksgrenze. Im Licht des Wohnzimmers sah sie das Unkraut auf dem Pflaster und den ungepflegten Garten. Die Vorbesitzer hatten keinen grünen Daumen gehabt, und sie hatte bisher auch nichts verändert. Ihr alter Garten hingegen war ein Blumenmeer gewesen. Nachdem sie das Haus gebaut hatten, hatte sie ein Jahr damit verbracht, Beete zu graben, Erde zu schaufeln, Bewässerungsanlagen zu installieren, zu planen und zu pflanzen. Das hatte Thomas höllisch genervt. Er hatte ihr immer wieder gesagt, dass sie jemanden für diese Arbeiten einstellen sollte, doch sie wollte ihr Zuhause selbst gestalten. Und jetzt konnte sie sich nicht dazu aufraffen.
»Okay!«, schrie Cameron. »Ich bin wieder da.«
»Hast du deine Schuhe ausgezogen?«
»Ja, aber Michelle sagt, dass ich den Teppich trotzdem schmutzig mache.«
Pech für dich, Michelle. Liv brauchte einen Augenblick, um den richtigen Einstieg dafür zu finden, was sie ihm sagen wollte. »Du weißt doch, dass Tante Sheridan bei den Nachrichten arbeitet?«
»Ja.«
»Gut, sie wird heute in den Abendnachrichten über mich berichten.«
»Oh, cool. Du bist im Fernsehen?«
Sie lächelte über seine Begeisterung und erschrak bei dem Gedanken, was er zu sehen bekäme. Sie wollte nicht, dass er es sich ansah, aber sie konnte die Kinder in der Schule auch nicht daran hindern, darüber zu reden, also musste sie es ihm sagen.
»Na ja, so cool ist das eigentlich nicht. Ich sehe heute etwas seltsam aus. Ich habe eine dicke Beule auf der Backe.« Er sagte nichts, und sie stellte sich vor, wie er mit seinem sommersprossigen Gesicht zu ihr aufsah, wenn es etwas Wichtiges zu besprechen gab. Davon hatte es im vergangenen Jahr mehr als genug gegeben, und ihr wurde übel bei dem Gedanken, dass es wieder einen Anlass gab. Sie versuchte es so unspektakulär wie möglich zu halten und erzählte ihm, jemand habe sie gestern Abend verletzt, doch sie habe ihr Bestes gegeben, um ihn in die Flucht zu schlagen, und dass man im Fernsehen darüber berichtete, damit sie andere Leute warnen könnte.
»Tut es weh?«
»Nicht so arg.«
»Sieht das wie die Verletzung aus, die ich hatte, als ich vom Tisch gefallen bin?«
Die war am Oberschenkel gewesen, wo viel Fleisch war. Sie hatten zwei Wochen lang das Farbenspiel des Blutergusses bewundert.
»Ungefähr.«
»Cool.«
»Es ist nur nicht so cool, dass es in meinem Gesicht ist. Jedenfalls für eine Mom.«
»Hast du gemacht, was Opa gesagt hat?«
»Was hat er denn gesagt?«
»Faust vor dem Schlag ballen, dann zurückziehen.«
Liv lachte leise. Das hatte ihr Vater Millionen Male seinen Anfängern in der Turnhalle zugeschrien – ballt die Fäuste, landet den Treffer, dann geht wieder in Verteidigungsstellung. Wann hatte Dad ihm das beigebracht? »Genau das habe ich getan. Aber nur, weil ich mich wehren
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