Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)
drinnen?«
»Nein. Ich habe den Zettel gefunden und gedacht, dass ich besser auf Unterstützung warten sollte.«
Er lächelte und schien das niedlich zu finden. »Okay. Schließen Sie das Tor, wir gehen durch die Garage rein.«
Er drückte sich weder gegen Wände, noch spähte er um die Ecken. Vielleicht glaubte er auch, sein massiger Körperbau reichte, um jeden von einem Sprung aus der Dunkelheit abzuhalten. Liv folgte ihm, knipste Lichter an und verwandelte das Erdgeschoss in einen lichtdurchfluteten Raum. Er öffnete die Türen zur Toilette und zur Waschküche. Während er zur Küche lief, nahm sie den Baseballschläger, der an der Haustür lehnte. Falls das Schwein mit einer Schrotflinte in der Küche wartete, würde der zwar nicht viel bringen, aber es fühlte sich besser an, als mit leeren Händen herumzustehen.
»Entwarnung«, sagte er, als er wieder rauskam. Als er den Schläger in ihrer Hand entdeckte, sah er sie erstaunt an.
»Nur für alle Fälle«, sagte sie.
»Seien Sie vorsichtig. Nicht dass Sie mir aus Versehen den Kopf einschlagen.«
Ein paar Minuten später stand sie im Flur und hörte, wie er ins Schlafzimmer ging, Schranktüren öffnete und schloss, das Licht im Badezimmer an- und wieder ausdrehte.
»Hier scheint niemand drinnen gewesen zu sein«, sagte er, als er rauskam.
Sie wich seinem Blick aus, als er im Flur an ihr vorbeiging. Er war schon einmal in ihrem Schlafzimmer gewesen, um das Fensterschloss zu installieren, doch diesmal hatte sie ihn gebeten, sich umzusehen. Und er hatte ihr den Gefallen getan. Konnte er in Zimmern so lesen wie in Menschen? Hatte er den Schmerz und die Einsamkeit gesehen, die sie ins Bett begleiteten?
Sie ging hinter ihm die Treppe hinunter, warf einen Blick auf seinen kräftigen Rücken, eine Mischung aus natürlichem Körperbau und hartem Training. Ihr Vater hätte ihn als muskulöse Person bezeichnet. Genau das, wonach sie als Teenager in der alten Sporthalle gegiert hatte.
»Was steht auf dem Zettel?«, fragte Daniel, als sie wieder im Wohnzimmer standen.
»Was zum Kuckuck spielt das für eine Rolle?«, antwortete Liv. »Er weiß, wo ich wohne. Vielleicht ist er ums Haus geschlichen und hat durch meine Fenster gespäht.«
Er sah zum hinteren Teil des Reihenhäuschens. »Da wird er nicht viel gesehen haben. Ihre Vorhänge sind geschlossen.«
Er hatte recht. Nur durch einen Spalt im Küchenrollo konnte man nach innen sehen, und auch dann erkannte man nur ein umgedrehtes Glas auf der Spüle.
»Möchten Sie ihn in meinem Beisein lesen?«, fragte er.
Falls drinstand, dass sie genau zehn Sekunden hatte, um zu verschwinden? Oder dass sie zusammenbrach und hinausgebracht werden musste? Sie zog Handschuhe an. Daniel stand ruhig neben ihr, als sie den Umschlag aufschnitt.
Diesmal war es kein Zettel. Es war eine Karte. Sie hatte eine glänzende Oberfläche mit einer einzelnen wunderschönen Lilie auf der Vorderseite. Auf der Innenseite befand sich keine gedruckte Nachricht, sondern nur eine blaue, gekritzelte Handschrift.
Liebe Livia,
es kann jederzeit überall passieren.
Du wirst schon sehen!!!
»Ich brauche einen Drink«, sagte Livia.
Sie holte eine angebrochene Flasche Wein aus dem Kühlschrank. Sie fragte Daniel erst gar nicht, ob er auch etwas wollte, sondern schenkte einfach zwei Gläser ein, reichte ihm eines und hoffte, dass sie nicht die Einzige war, die Stärkung brauchte. Sie verschluckte sich fast an dem kalten Alkohol. Er hielt sein Glas einfach nur in der Hand und sah ihr zu.
»Es geht mir gut. Lassen Sie mich nicht alleine trinken.« Sie ging zum Spülbecken und deutete auf die Karte. »Was zum Teufel soll denn das schon wieder heißen?«
»Sie sollten Rachel anrufen und ihr Bescheid sagen.«
»Da ist eine Lilie drauf. Lilien schickt man zu Begräbnissen.«
»Sie soll einen Streifenwagen in Ihrer Straße patrouillieren lassen.«
Sie stakste zum Herd. » Was kann jederzeit überall passieren?«
»Sie sollten sich so schnell wie möglich darum kümmern. Es ist Freitagabend, da konzentriert die Polizei sich vorwiegend auf die Pubs.«
Sie trat wieder zu ihm. »Meint er damit, dass er mein Haus verwüsten kann, weil er jetzt weiß, wo ich wohne?«
Er sagte nichts.
»Das sind zwei Nachrichten an einem Tag. Was zum Teufel hat das zu bedeuten?«
»Livia.«
»Was?«
»Sie können dieses Arschloch nicht verstehen.«
Sie schloss die Augen.
»Konzentrieren Sie sich darauf, was Sie tun können.«
Sie trank einen Schluck Wein. »Sie haben
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