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Ich kann so nicht mehr arbeiten!: Freude und Sinn statt Seeleninfarkt (German Edition)

Ich kann so nicht mehr arbeiten!: Freude und Sinn statt Seeleninfarkt (German Edition)

Titel: Ich kann so nicht mehr arbeiten!: Freude und Sinn statt Seeleninfarkt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Violetta Jung
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jedes einzelnen respektierten, seine Talente nutzten, ihn baten, Spaß zu haben, und die Menschen förderten. Weil wir zusammenarbeiteten, respektvoll miteinander umgingen und füreinander einstanden. Weil wir nicht mehr fragten: »Wer hat es verbockt?«, sondern: »Wie können wir diesen Fehler in Zukunft vermeiden?« Weil wir uns den Menschen als Wesen zuwendeten, statt sie wie Maschinen oder Nummern zu behandeln. Weil wir die kleinen unscheinbaren Indianer aus ihren Verstecken holten und ihnen den Spiegel vorhielten, in dem sie sehen konnten, wie einzigartig sie waren. Und weil wir als Führungskräfte an sie glaubten und uns vor sie stellten.
    Dies war die schönste Zeit meiner Managerkarriere und zugleich der Anfang vom Ende meiner Zeit als angestellte Führungskraft. Es wurde deutlich, das ich mich nur in Resonanz mit der direkten Arbeitsumgebung befand, die ich selbst prägen konnte, nicht aber mit der überwiegend gelebten Kultur im Konzern. Mich quälten zwei Fragen. Die erste war: Was tut man als Chef, der alle Leitungsfunktionen kompetent besetzt hat und über eine quirlige und engagierte Mannschaft verfügt? Meine Antwort lautete: Die Leitlinien abstimmen und ihnen ansonsten möglichst nicht vor die Füße laufen. Ich coachte die beiden jüngere Direktoren für Sales and Customer Service, ließ sie aber allein auftreten. So vermochten sie schnell Statur zu gewinnen. Nur wenn einer der vier Direktoren es wünschte, fuhr ich mit zu Kunden, Terminaloperatoren, Hafenautoritäten oder Branchenevents. Auf diese Weise machte ich mich selbst überflüssig und drehte Däumchen. Ich verließ das Büro meist schon am frühen Nachmittag, fuhr durch den Hafen, besuchte meinen Geschäftsführerkollegen in den Niederlanden, traf mich mit Managern aus dem Transportgewerbe zum Golf und fühlte mich ansonsten unausgefüllt und unterfordert. So stellte ich mir ein sinnerfülltes Arbeitsleben nicht vor. Viel zu viel von dem, was mich ausmachte, lag nun brach.
    Die zweite Frage betraf folgerichtig meine eigene berufliche Perspektive. Wollte ich mich nun alle paar Jahre in der Welt umherversetzen lassen, um in einer Tochtergesellschaft einen Wandel einzuleiten, es dann dort ein paar Jahre ruhig angehen zu lassen und ansonsten darauf warten, irgendwann zur obersten Admiralität der Reederei zu gehören? Selbst wenn es so weit kommen würde, hätte ich wohl kaum Spaß daran, folgerte ich damals. Um einen traditionsreichen Konzern langfristig zu verändern, hätte es nach meinem damaligen Verständnis fünfzehn Manager von meiner Wesensart, mit einer ähnlichen Philosophie und einem entsprechenden Anspruch, Menschen zu führen und zu gestalten, bedurft, die eng zusammenarbeiten konnten. Auf mich allein gestellt fürchtete ich, irgendwann abzustumpfen oder auf halber Strecke gesundheitlich in die Knie zu gehen. Spätestens dann hätte ich vor der Frage gestanden, bis zur Rente auszusitzen, trübsinnig durch meine Arbeitstage zu dümpeln, eine Last für andere zu werden oder schlussendlich doch aus eigenem Entschluss zu gehen.
    Ich entschied mich, die Reederei sofort und aus freien Stücken zu verlassen. Für meine Vorgesetzten kam meine Kündigung völlig unerwartet. Als ich meiner Crew in Belgien ankündigte, dass ich das Unternehmen Ende November 2000 verlassen würde, schlug mir betretenes Schweigen entgegen. Ich hatte immer alle ermuntert, sich zu entwickeln, zu wachsen und neue Herausforderungen mutig anzunehmen. Das musste doch auch für mich gelten – oder etwa nicht? In den Tagen bis zu meinem letzten Arbeitstag brachten die Menschen in meinem Umfeld frei von der Leber weg zum Ausdruck, was sie fühlten. Die Spanne reichte von »bleib bei uns« bis »endlich wieder ein Mann als Chef«. Team Belgien schenkte mir zum Abschied ein in Leder gebundenes Buch, in dem Einzelne und Gruppen unsere beiden gemeinsamen Jahre in persönliche Worte, Fotos, Zeichnungen, Comics, Rätsel, Gedichte und Prosa gefasst hatten. »Vertrauen«, »Chancen«, »Kollegialität« und »angenehme Atmosphäre« waren die häufigsten Worte, die sie wählten. Da sie mich aber auch mit Worten und Bildern durch den Kakao zogen und für alles vors Schienbein traten, was ich ihnen verweigert oder nicht in ihrem Sinne durchgesetzt hatte, gehe ich davon aus, dass ihr Feedback grundehrlich war und von Herzen kam. Mit der menschlichen Belgien-Blaupause hätten meine Vorgesetzten in der Zentrale weit mehr für das gesamte Unternehmen bewirkt, als mit dem Kopieren

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