Ich kann so nicht mehr arbeiten!: Freude und Sinn statt Seeleninfarkt (German Edition)
hat fast jeder das Bedürfnis, möglichst oft als Erster über die Ziellinie zu gehen und in der Hierarchie von Ansehen und Macht stetig aufzusteigen. Es geht darum, bestimmte Zahlen zu erwirtschaften, etwas zu sagen zu haben, materiell gut dazustehen, gesehen zu werden, bewundert zu werden – eben Karriere zu machen. In expliziten Hierarchien entscheiden Funktionen und Titel nach außen hin über Macht und Ansehen. Innerhalb des Unternehmens gibt es neben der offiziellen auch noch eine tatsächlich gelebte Hierarchie, die teilweise ganz andere und meist deutlich weniger Menschen in den tatsächlichen Zirkel der Macht einbezieht. In partnerschaftlich organisierten Unternehmensmodellen herrscht unter den Partnern eine implizite Hackordnung. Offiziell sind alle gleich, aber diejenigen, die höhere Honorare und Umsätze generieren als ihre Kollegen, haben faktisch mehr zu sagen.
In jeder Unternehmenshierarchie verändert sich das Selbstwertgefühl der Menschen mit ihrer Position in der Hierarchie. Hat es jemand auf der Rennbahn unter die Sieger geschafft, ist sein Denken meist ganz darauf ausgerichtet, seine Position zu halten oder, besser noch, weiter auszubauen. Zurück- oder Herausfallen kommt im Denkmuster nur als Angst auslösendes Horrorszenario vor und wird gern verdrängt. Gleichwohl ist das für die allermeisten die wahrscheinlichste Variante. Überlegen Sie mal. Je höher Sie in der Hierarchie aufsteigen, sei es innerhalb eines Unternehmens, eines Berufsverbandes oder im Vergleich mit konkurrierenden Partnern oder Unternehmern, desto dünner wird die Luft, desto weniger Plätze gibt es, desto mehr muss konstant geleistet werden, desto härter sind die Positionen umkämpft, desto exponierter und gefährlicher leben Sie. Wo ein Sieger gekürt wird, überwiegenden die Verlierer. Wo um Macht, Geld und Einfluss gekämpft wird, mehren sich die Verletzungen, die man erleidet und anderen zufügt.
Viele angestellte Manager in Führungspositionen haben mir unter vier Augen gestanden, dass sie einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit damit verbringen, sich bei allem, was sie unternehmen, gegen Kritik von außen und Störfeuer von Kollegen abzusichern. Es soll ihnen nur bloß keiner ein Messer in den Rücken stechen oder ein Bein stellen können, wenn sie sich für die Ziele des Unternehmens einsetzen. Also engagieren sie sich entweder gar nicht oder nur vorsichtig. Oder sie beschränken ihren Einsatz auf Bereiche, in denen sie sich und ihre Position nicht gefährden und sichere Siege einfahren können. Einzige Ausnahme: Sie sind zeitweise so mächtig oder überlegen, dass sie alles anpacken und umsetzen können.
Hackordnungen können Sie in Unternehmen auf allen Hierarchiestufen beobachten. Selbst unter den Rangniedrigsten verhalten sich viele nach dem Motto: »Ich Chef, du gehorchen.« Wer länger dabei ist oder über bessere Kontakte und Schutzmechanismen verfügt, spielt seine noch so geringe Macht gern genüsslich aus. Es geht darum, sich gut zu fühlen, gleichgültig, welche nachteiligen Konsequenzen dies für das Unternehmen hat.
Ich erhielt als Angestellte viele väterlich klingende Ratschläge, mich nicht in die Schusslinie zu begeben oder nicht Farbe für etwas zu bekennen, das der eigenen Karriere abträglich sein konnte. Einmal hörte ich sogar, ich würde meine Kündigung riskieren, wenn ich ein bestimmtes Thema nicht ganz schnell fallen ließe. Natürlich bin ich mit meiner Dickköpfigkeit ins offene Messer gelaufen und musste anschließend meine Wunden lecken. Mit der Zeit unterdrückte ich mein Bedürfnis, meine wahren Emotionen zu zeigen, weil es in der Hierarchie nicht zum Spiel gehörte. In diesen Jahren verlor mein Körper die Fähigkeit, spontan zu weinen, fast ganz. Selbst im privaten Bereich kostete es mich viel Überwindung, Tränen zuzulassen, wenn mir danach war.
Ob Sie nun zu denjenigen gehören, die lieber auf Nummer sicher gehen und abtauchen, wenn mächtigere Menschen Ihnen drohen oder gefährlich werden könnten, oder ob Sie, wie ich damals, die Welt herausfordern – Sie übersehen immer etwas Wesentliches, wenn Sie Ausschließlichkeit für sich beanspruchen. Wir tun oft so, als würden nur wir die Wirklichkeit verstehen und die anderen nicht.
Wir laufen bewusstlos umher, solange wir ausschließlich in der Welt der Äußerlichkeiten verkehren. Und irgendwann stellen wir fest, dass etwas nicht stimmt, und beginnen zu leiden.
Dann kann es sein, dass unser Körper uns seinen Dienst
Weitere Kostenlose Bücher