Ich kenne dein Geheimnis
leidenschaftliche Geliebte und waghalsige Weggefährtin
zugleich. Wenn er sie als Mann verkleidet fechten sah, verlor er fast den Verstand. Er fühlte sich freier, dynamischer, als
könne er ihre Jugend in sich aufsaugen. Ihre ungezügelte Lebenslust machte ihm aber auch Angst, erinnerte ihn daran, dass
er sie irgendwann verlieren könnte. Wie hätte er ein solches Geschöpf auch ganz besitzen sollen? Während er mit der Fingerkuppe
die Linie ihrer Brust nachzeichnete, kehrten diese Ängste zurück. Sie schien die Berührung gar nicht zu bemerken, so fest
schlief sie. Ihre Lippen waren halb geschlossen und ihr Atem ging ruhig, wie eine leichte Meeresbrise. Hin und wieder jedoch
ballten sich ihre Hände zu Fäusten, und auf ihrer Stirn erschien eine Falte. »Die Sorgen der letzten Tage«, dachte Volfango.
Sie waren übereingekommen, die Sache auf sich beruhen zu lassen, es sei denn, sie mussten darüber sprechen. Aber die Anspannung
stieg Tag für Tag.
»Herr! Wacht auf! Ein Bote aus Palermo ist eingetroffen. Er sagt, es sei dringend!« Balàs verängstigte Stimme riss ihn aus
seinen Gedanken. Es war zwei Uhr morgens, und Oliva hatte im Schlaf ihren Arm über seinen Bauch gelegt, als wolle sie ihn
festhalten. Schweren Herzens schob er ihn beiseite. Leise zog er sich an und verließ das Schlafzimmer, um den Boten zu empfangen.
Als er später zurückkehrte, saß Oliva wach im Bett. Dieses Mal tat keiner von beiden so, als sei alles in Ordnung. Der Moment,
die Übereinkunft zu brechen, war gekommen. Volfango erzählte ihr, was ihm Bruder Michele, der gerade aus Palermo gekommen
war, zu berichten hatte. Die Venezianer zogen den Kreis um ihn immer enger. Sie wussten auch, dass er den Schatz inzwischen
an einem sicheren Ort verborgen hatte. »Es ist an der Zeit. Wir gehen ein großes Risiko ein, aber wir müssen fliehen. Wir
werden erst nach Palermo reisen und uns |390| dann nach London einschiffen«, sagte Volfango. Den grausamsten Teil der Drohung verschwieg er allerdings: Die Venezianer wollten
Oliva gefangen nehmen und foltern, damit sie das Versteck des Schatzes preisgab. Dann sollte sie an den Harem eines Sultans
verkauft werden.
»Ich habe keine Angst«, antwortete die Marchesa stolz und sprang geschmeidig aus dem Bett. Sie nahm ihre Reisekleidung aus
dem Schrank und band sich die Brust mit einem Streifen Stoff ab. Volfango beobachtete fasziniert, wie schnell und routiniert
sie inzwischen darin war. »Halt, du musst das hier verstecken«, sagte er und gab ihr ein Säckchen. »Stecke es unter den Stoff.«
Die Marchesa stellte keine Fragen und tat wie geheißen. Sie schlüpfte in die Männerhosen und zog sich eines von Volfangos
Hemden an. Dann nahm sie Pistole und Schwert, band sich den Gurt mit dem Pulversack um die Taille und schlüpfte in ihre Stiefel.
Als sie fertig war, hauchte Volfango einen Kuss auf ihren warmen Nacken. »Das Versteck ist genial. Nur einem klugen Kätzchen
wie dir konnte das einfallen«, flüsterte er und dachte daran, wie sie in einer mondlosen Nacht die kostbaren Steine verborgen
hatten. Die restlichen Diamanten hatte er auf mehrere grobe Leinensäckchen verteilt, eines davon ruhte jetzt an Olivas Brust.
Spielerisch löste sich die Marchesa aus seinem Griff. »Schluss jetzt, sonst wird es zu spät«, lachte sie.
Aber Volfango packte sie an den Handgelenken und zwang sie, sich zu ihm umzudrehen. »Schau mir in die Augen und schwöre, dass
du tun wirst, was ich dir sage.«
»Ich lasse mir von niemandem etwas vorschreiben, Barone.«
»Es ist wichtig, Oliva.« Er nahm sie bei beiden Händen. »Falls ich sterben sollte …«
»Sag so was nicht!«
|391| »Hör mir zu, ich bitte dich.«
Oliva wandte ihren Blick ab. Allein der Gedanke, sich von ihm trennen zu müssen, erfüllte sie mit Schmerz.
»Du musst mir versprechen, Oliva, dass du, falls mir etwas zustoßen sollte, meine Memoiren an Lupo übergibst und ihm das Rätsel
erklärst, mit dessen Hilfe er den versteckten Schatz finden kann. Außerdem musst du ihm den Namen seines geheimen Vormunds
enthüllen. Schwöre!«
»Ich schwöre«, sagte Oliva schließlich. Dann setzte sie ungeduldig hinzu: »Jetzt müssen wir aber los, auch ich habe noch eine
Rechnung offen, die ich gerne begleichen möchte. Alle Adligen, die sich früher meine Freunde nannten und sich dann auf die
Seite von Prinz Gravina geschlagen haben, sollen unter meiner Klinge sterben.« Mit einer schwungvollen Geste
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