Ich kenne dein Geheimnis
hatte sie ihr
Schwert gezogen und einen Ausfallschritt markiert.
Volfango trat irritiert einen Schritt zurück. In die Augen seiner Geliebten war ein fanatisches, fast irres Leuchten getreten.
Während er sie dabei beobachtete, wie sie das Schwert wieder in die Scheide steckte und sich das Tuch vor das Gesicht band,
kam sie ihm vor wie eine Fremde. Er begriff, dass diese Unbekannte vor nichts und niemandem zurückschrecken würde. Blut stachelte
sie an, genau wie Wein und Sex, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Dieses wilde, unzähmbare Geschöpf würde er nie ganz
besitzen. Früher oder später würde sie ausbrechen. Und zum ersten Mal musste er, wenn auch widerwillig, zugeben, dass er darüber
fast erleichtert war.
In Palermo wichen die Schatten der Nacht, und der Morgen begann zu grauen. In dieser Zeit zwischen Finsternis und Morgendämmerung
bewegte sich ein Reitertrupp langsam |392| durch die Straßen. Zu so früher Stunde war kaum eine Menschenseele unterwegs, höchstens Handwerker, die ihre Werkstatt öffneten,
oder Bauern mit Körben voller Obst und Gemüse auf den Schultern, die mit gesenkten Köpfen langsam ihres Weges gingen. Hätten
sie aufgeblickt, hätten sie einen Mann und einen Jungen gesehen, der ein Tuch vor sein Gesicht gebunden hatte, wahrscheinlich
Vater und Sohn. Rechts und links zwei schwerbewaffnete Männer und dahinter ein Trupp wenig vertrauenerweckender Reiter. Diejenigen,
die den Mut hatten, ihnen in die Augen zu sehen, blickten rasch wieder zu Boden und beschleunigten ihren Schritt. In Palermo
war in dieser Zeit viel Gesindel unterwegs, Überfälle und Morde auf offener Straße waren an der Tagesordnung. Vorsicht war
geboten, jede unbedachte Äußerung, jeder allzu neugierige Blick konnte einem zum Verhängnis werden.
Unterdessen hatte der Trupp das Stadtzentrum erreicht. Vor der Chiesa Santa Maria delle Sette Spade hielten sie an. Der Mann
und der Junge stiegen vom Pferd und betraten das Gotteshaus, wo sie Seine Eminenz Cosimo Duca di Medinaceli erwartete. Der
Kardinal war zuvor durch einen Boten von ihrem Kommen in Kenntnis gesetzt worden.
Mit festem Schritt ging Volfango d’Altino auf die Sakristei zu, während sich Oliva das Tuch vom Gesicht zog. Jetzt brauchte
sie sich nicht mehr zu verstecken.
»Eminenz, ich danke Euch von ganzem Herzen für die Güte, uns zu empfangen.« Volfango kniete vor dem Kardinal nieder und küsste
den Ring am Finger der behandschuhten Hand. Als der Geistliche ihm ein Zeichen gab, sich zu erheben, sagte d’Altino: »Der
Moment, Palermo zu verlassen und nach London aufzubrechen, ist gekommen, Eminenz.«
Der in seinem Kardinalsgewand groß und majestätisch wirkende Purpurträger nickte nur.
|393| Der würdevolle Auftritt des Geistlichen beeindruckte Oliva nicht im mindesten. Sich Autoritäten zu unterwerfen, hatte ihr
schon immer widerstrebt. Als es an ihr war, vor dem Kardinal niederzuknien, zögerte sie, bis Volfango sie vorwurfsvoll anblickte.
Sie deutete einen flüchtigen Knicks an. Dem Kardinal entging dies nicht, er kannte den revolutionären Geist der rebellischen
Marchesa, tat aber so, als bemerke er nichts. Er wartete ab, was der Baron ihm zu sagen hatte.
»Ich werde Euch die Güter meiner Familie anvertrauen, Eminenz. Ihr werdet sie als Vormund für meinen Sohn Lupo d’Altino und
die Marchesa Oliva di Regalmici verwalten, weshalb unsere Familien Euch auf ewig dankbar sein werden.« D’Altino machte eine
kurze Pause und versuchte, im Gesicht des Monsignore ein Zeichen der Aufmunterung zu lesen. Dann sprach er das aus, wovon
er wusste, dass er damit das Herz des Geistlichen erreichen würde: »Als Zeichen meiner ewigen Dankbarkeit überlasse ich der
Mutter Kirche zusätzlich eine Summe von dreißigtausend Goldscudi. Ihr wisst, wo das Geld verborgen ist, Eminenz, gut geschützt
vor gierigen Verbrecherhänden …«
Der Kardinal verschränkte die Hände und sah den Baron mit großem Wohlwollen an. »Barone, ich danke Euch für das Vertrauen,
mir die Verwaltung Eurer Güter zu übertragen, ganz zu schweigen von Eurer großzügigen Spende, die der Kirche einen großen
Dienst erweisen wird, einer Kirche, die, wie Ihr wisst, immer in Nöten ist. Ich erinnere mich noch wie heute an die Zeit,
da die Stadt Palermo die der Kirche zugesagten fünfzigtausend Scudi einbehielt und auch Adlige und reiche Kaufleute den Gürtel
enger schnallen mussten, so dass wir keine Spenden mehr
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