Ich kenne dein Geheimnis
Glauben würden es auch tun. Aber jetzt? Mein Weltbild ist zerstört.« |384| Sie seufzte tief. »Heute Morgen habe ich Sie gebeten, mir konkrete Beweise für Ihre Geschichte zu liefern. Bis vor kurzem
hätte ich auch darauf bestanden, sie zu bekommen. Und wer weiß, vielleicht hätte ich Sie sogar rauswerfen lassen, wenn Sie
dazu nicht bereit gewesen wären.«
Smeralda nickte und hielt den Kopf gesenkt.
»Jetzt will ich nur eines wissen.«
»Alles, was ich Ihnen gesagt habe, ist wahr. Meine Kinder sind Ihre Enkel, das schwöre ich.«
»Wenn es so ist, und ich glaube Ihnen, müssen Sie mir sagen, wer Ihnen die Kinder genommen hat.« Die Baronin sah die Angst
in Smeraldas Augen.
»Diese Leute sind äußerst gefährlich. Ich kann nicht auch noch Ihr Leben in Gefahr bringen, Baronessa. Ich flehe Sie an, fragen
Sie nichts, worauf ich Ihnen keine Antwort geben kann.«
»Ich habe mein Leben gelebt. Und ich glaube, es ist inzwischen weniger wert als das meiner Enkel. Ich habe einflussreiche
Kontakte, ich kann Ihnen helfen. Sie müssen mir nur vertrauen.«
Smeralda lief es kalt den Rücken herunter.
»Auch ich weiß, was es heißt, in Angst zu leben, Smeralda.« Vivy erhob sich und ging zum Schreibtisch. Smeralda verfolgte
atemlos jeden ihrer Schritte. »Sie werden uns beide töten, Baronessa, diese Leute kennen keine Gnade.«
Vivy zog eine Schublade auf und nahm mehrere Blätter heraus. »Sie sind nicht die Einzige, die erpresst wird«, sagte sie und
hielt Smeralda die Briefe hin.
Die Schauspielerin las den ersten: DU WILLST EINEN TOTEN? DU SOLLST IHN HABEN.
»Mein Gott!« Die Drohung war aus einzelnen Druckbuchstaben zusammengesetzt, die aus Zeitungen ausgeschnitten |385| worden waren. Genau wie bei den Briefen, die sie bekommen hatte. Auch wenn es absurd schien, konnte sie sich doch nicht von
dem Gedanken lösen, dass alle Briefe den gleichen Absender hatten.
»Avi a ghittari sanghi!
Sie sollen verrecken, die elenden Hunde!
Abbuccàricci ’u vrodu te fazzu
! An ihrem eigenen Dreck sollen sie ersticken, so wahr ich hier stehe!«, zischte sie unter dem erschrockenen Blick der Baronin.
In ihren Augen lag jetzt keine Angst mehr, sondern die wütende Entschlossenheit einer Frau, die zu allem bereit war. »Gut,
Baronessa, ich gebe Ihnen die Namen.«
»
’
u Scimu scheint verrückt geworden zu sein! Er redet völlig unverständliches Zeug. Wenn du nicht sofort mit ihm sprichst, bekommt
er einen Anfall«, Rosaly betrat das Büro ihrer Großmutter. Sie fröstelte. Das Thermometer neben der Tür zeigte gerade einmal
siebzehn Grad. Maria Manniti war in ihre Zeitungslektüre vertieft.
»Nonna, hier erfriert man ja, du holst dir noch eine Lungenentzündung.«
»Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen«, sagte Maria und hob den Blick von der Zeitung. »Ich habe das Feuer überlebt,
da überlebe ich auch die Kälte. Was will Carruccio denn?«
»Wenn ich das wüsste. Du bist die Einzige, die sein Gebrabbel verstehen kann. Ich weiß wirklich nicht, wie du ihn erträgst,
mir wird schon von seinem Anblick schlecht.«
Maria Manniti verzog das Gesicht, und Rosaly verstand sofort. Sie hatte es wohl wieder mal übertrieben.
»Lass ihn rein.«
»Komm, Carruccio«, Rosaly winkte ihn herein. Kurz darauf humpelte ein Mann ins Zimmer, der durchdringend nach Stall und Schweiß
stank. Rosaly hielt den Atem an und wartete auf |386| die Erlaubnis, das Zimmer zu verlassen, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und verschwand. Sie fragte sich, wie ihre Großmutter
das aushielt. Alle wussten von der starken, unerklärlichen Zuneigung Marias zu dieser Laune der Natur: etwa fünfunddreißig,
eins sechzig groß, halb blind und kaum noch Zähne. Böse Zungen behaupteten, die seltsame Freundschaft der beiden zeige, dass
nur Sonderlinge wie sie selbst mit ihrer Wohltätigkeit rechnen könnten. Welchen Grund könnte es sonst noch geben? Vor allem,
weil Carruccio zu gar nichts nütze war, außer dass vielleicht sein Unglück jenen, die wirklich gar kein Mitgefühl hatten,
ein sadistisches Vergnügen bereiten mochte. In Rosalys Augen war die Fürsorge ihrer Großmutter für ein so abstoßendes Geschöpf
ein weiterer Beweis für ihr großes Herz.
In Wahrheit aber war Carruccio Maria Mannitis willfähriges Werkzeug. Ù Scimo war lange nicht so beschränkt, wie er aussah,
und das war sein Vorteil. So war er unverdächtig und äußerst geeignet für kleine Dienste wie das Ausspionieren
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